Frucht der Sünde
das nötig, Lucy?»
«Sie ist eine Frau.»
«Hätte nie gedacht, dass ich so was mal von dir zu hören kriege.»
«Weil du nicht verstehst, was ich meine, oder?»
Gomer versuchte aus dem Graben zu steigen, glitt aus und rutschte zurück. Da streckte ihm Lucy ihre Hand entgegen und zog ihn mit der Leichtigkeit der Hydraulikwinde hoch, die er früher in seinem Betrieb gehabt hatte.
«Worüber habt ihr gesprochen? Ihr habt dabei doch zum Obstgarten rübergesehen.»
Aha, sie beobachtete ihn? «Über dies und das», sagte Gomer. «Wie viel Knospen der komische Apfelbaum-Mann hat und so.»
«Der Apfelbaum-Mann?» Ihr Gesicht wirkte im Gegenlicht fast schwarz. «Zum Teufel, wir haben hier keine Apfelbaum-Männer! So etwas gibt es in der Überlieferung von Somersetshire. Wir hier haben ganz andere Traditionen. Das solltest du doch wissen. Kein Apfelbaum-Mann, keine Gewehre.»
«Na gut, dann entschuldige», sagte Gomer, «dass ich nur ein bescheidener, ungebildeter Landarbeiter bin.»
«Es ist
wichtig
, Gomer. Diese Hampelmänner bringen hier ihre blödsinnigen verdrehten Ideen her, und wir stellen plötzlich fest, dass wir in einem anderen Ort leben – einem Phantasiedorf. Das passiert, wenn sich alles zu schnell verändert. Ledwardine war ein bitterarmes Dorf, als ich ein Kind war – erbärmliche Löhne, die Kinder in Lumpen. Und jetzt gehört es zu den reichsten Dörfern der gesamten Region. Sieht von außen unheimlich historisch und authentisch aus, aber das ist alles nur Fassade. Und kümmert es sie, die Leute von hier, wenn von ihrer Geschichte nichts mehr übrig bleibt? Nein, es kümmert sie einen Scheiß!»
«Geld is Geld», sagte Gomer, um sie noch ein bisschen zu provozieren. Es interessierte ihn, worauf sie wirklich hinauswollte. «Die Läden laufen gut. Klempner, Bauarbeiter, Schreiner, die alten Handwerksberufe – alle ham genug Aufträge. Warum sollen sie sich beschweren?»
«Weil dieser Wohlstand aus den falschen Quellen kommt.
Cider
war Ledwardines Reichtum, und er ist schon lange versiegt.»
«Jetzt warte doch mal, Lucy. Wenn dieser Mr. Cassidy die Produktion
wiederbeleben
will …»
«Ohne eine Ahnung zu haben und nur, um Touristen anzulocken?»
«Na ja.» Gomer fischte eine Zigarette aus der Hosentasche. «Kann ich nich beurteiln, … bin ja bloß ein ungebildeter Landarbeiter. Aber es fällt doch auf, Lucy, dass man dich für einen Neidhammel halten könnte. Weil die Idee nicht von dir is, willst du nicht, dass sie funktioniert. Mit dem Festival das Gleiche. Hast du vielleicht das Gefühl … wie heißt das Wort nochmal …, ausgegrenzt zu werden?»
Lucy Devenish blinzelte, hob die Hand zum Gesicht, und einen grässlichen Augenblick lang glaubte Gomer, dass sie anfangen würde zu weinen. Aber dann rückte sie nur ihren Hut zurecht.
«Was ich habe, Gomer», sagte sie, «und zwar besonders, wenn ich auf dieser Seite des Friedhofs stehe, ist Angst um dein nettes Mädel.»
6 Wenn es kühl wird im Hause Gottes
Merrily ging mit zögernden Schritten durch die dämmrige Kirche.
«Weißt du, was ich nicht könnte?», hatte ihre Mutter vor Jahren gesagt. «Ich könnte niemals abends alleine in eine dieser alten Kirchen gehen. Das wäre mir zu unheimlich. Da könnten sich alle möglichen Leute verstecken, Obdachlose, Vergewaltiger. Das ist auch so ein Grund, aus dem dieser Beruf nichts für Frauen ist, finde ich.»
Das ist das geringste meiner Probleme, dachte Merrily, halb gefasst auf eine feindselige Reaktion, ein missbilligendes Stöhnen aus den dunklen Tiefen der Kirche.
Bis jetzt hatte sie keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Die Predigten schienen sich wie von selbst zu schreiben, und die Gottesdienste waren gut gelaufen. Im Dorf hatte sie weder Ablehnung noch Misstrauen gespürt.
Ihr Problem war, dass ihr alles noch nicht richtig real erschien. Im Hotel zu wohnen verlieh ihrem Aufenthalt hier etwas von einem Urlaub. Vielleicht würde sich das ändern, wenn sie ins Pfarrhaus eingezogen waren. Darauf freute sich Merrily allerdings nicht gerade. Das Pfarrhaus war einfach zu groß, als dass man sich darin zu Hause fühlen konnte, ihr war dort viel unbehaglicher zumute als an einem dämmrigen Abend allein in der Kirche.
Die schmutzigen Fenster ließen immer weniger Licht herein. Merrily ließ ihre Hand über die steinerne Wand zum Lichtschalter gleiten. Die Messinglampen leuchteten auf. Ihr honigfarbener Schein fiel warm und sanft auf die historischen Mauern.
Sie hatte sich
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