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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht einmal den Kopf gegen die Sprecherinnen, aber unter dem Schleier funkelten ihre schönen Augen fieberisch.
    »Hier,« sagte die Arbeiterfrau, »werden Sie nichts dergleichen sehen. Madame Bourdieu hütet sich wohl, sich in gefährliche Dinge einzulassen.«
    Die andre dämpfte die Stimme: »Und doch hat man mir erzählt, daß sie sich dazu hat bereit finden lassen, ja, für eine Gräfin, die eine hohe Persönlichkeit ihr zugeführt hat! Und es soll nicht einmal so lange her sein.«
    »Ja freilich, wenn es sich um sehr reiche Leute handelt, dann glaub’ ich’s wohl. Alle leihen die Hand dazu, das ist sicher. … Trotzdem ist das Haus sehr anständig.«
    Abermals trat Schweigen ein; dann fuhr sie ohne Uebergang fort: »Wenn ich nur bis zuletzt hätte arbeiten können! Aber diesmal befinde ich mich leider in einem solchen Zustande, daß ich seit vierzehn Tagen jede Arbeit habe aufgeben müssen. Und ich werde mich wahrlich nicht pflegen, ich werde von hier fortgehen, auch wenn ich noch nicht ganz gesund bin, sobald ich mich nur auf den Füßen halten kann. Meine Kleinen erwarten mich. … Wissen Sie, daß es mir nach dem, was Sie mir erzählt haben, fast leid tut, daß ich nicht zu dieser Hexe gegangen bin? Sie hätte mich befreit. Wo wohnt sie denn?«
    »Die Rouche ist es, die Hebamme, die alle Dienstmädchen und alle Dirnen des Viertels sehr gut kennen. Sie hat ihre Höhle am unteren Ende der Rue du Rocher, ein verpestetes Haus, in welches ich nicht mehr wagen würde, bei Tage einzutreten, seitdem ich weiß, was dort für Scheußlichkeiten vorgehen.«
    Sie schwiegen und entfernten sich. Madame Bourdieu erschien auf der Schwelle ihres Arbeitszimmers. Und während Mathieu, durch die Rücklehne des Fauteuils verdeckt, sich nicht bewegte, trat Valérie zu der Hebamme ein. Bis zuletzt hatte sie begierig auf das Gespräch der beiden Frauen gehorcht. Er ließ die Zeitung sinken und verlor sich in entsetzenvolles Sinnen, tief erregt durch die Schicksale dieser Frauen, schaudernd bei dem Gedanken an all das Grauenhafte, das sich im Dunkel barg. Wieviel Zeit verging ihm so? Er hatte dafür kein Bewußtsein, als er durch Stimmen, die an sein Ohr drangen, aus seinem Nachdenken aufgestört wurde.
    Madame Bourdieu geleitete Valérie. Sie zeigte ihr gewöhnliches gutes, volles Gesicht, lächelte sogar mit mütterlichem Ausdruck; aber die junge Frau, die offenbar geschluchzt hatte, bebte am ganzen Körper, und ihr Gesicht war glühend vor Kummer und Scham.
    »Sie sind unvernünftig, liebes Kind, Sie sprechen mir von törichten Dingen, die ich nicht hören will. Kehren Sie schnell nach Hause zurück, und seien Sie gescheit.«
    Nachdem Valérie ohne ein Wort fortgegangen war, bemerkte Madame Bourdieu mit Erstaunen Mathieu, der sich erhoben hatte. Sie wurde plötzlich ernst, ohne Zweifel bedauernd, daß sie in seiner Gegenwart so gesprochen hatte. Aber gleichzeitig kam auch Norine, und es entwickelte sich ein heiteres Gespräch, denn die Hebamme gestand gern ihre besondere Vorliebe für hübsche Mädchen. Wenn man hübsch sei, sagte sie, so erkläre das wenigstens die Dinge. Der schwarze Kaffee wurde erlaubt, da Norine sich erbot, ihn extra zu bezahlen. Und nachdem Mathieu Norine noch versprochen hatte, sie bald wieder zu besuchen, empfahl er sich.
    »Nächstes Mal bringen Sie mir Orangen mit, ja?« rief ihm das Mädchen, ganz rosig und glücklich, noch über die Treppe nach.
    Als Mathieu die Rue La Boëtie hinabging, blieb er plötzlich stehen. An der Ecke dieser Straße sah er Valérie im Gespräch mit einem Manne; und in diesem Manne erkannte er Morange, den Gatten. Eine plötzliche Gewißheit durchfuhr ihn: Morange war mit seiner Frau gekommen und hatte sie auf der Straße erwartet, während sie zu Madame Bourdieu hinaufgegangen war; und jetzt standen sie beide da, fassungslos, verzweifelt, unschlüssig, und berieten sich. Sie fühlten nicht einmal, daß die Vorübergehenden sie anstießen, sie glichen Unglücklichen, die in einen tosenden Wirbel gestürzt sind, die, paralysiert durch die Gewißheit des Todes, widerstandslos ihrem Schicksal zutreiben. Ihre Seelenangst war ihnen deutlich anzusehen, irgendein furchtbarer Kampf spielte sich in ihnen ab. Zehnmal veränderten sie den Platz, von den Furien getrieben, die ihnen im Nacken saßen. Sie gingen hin und her, bewegten sich in fieberischer Hast, blieben wieder stehen, flüsterten leise miteinander, unbeweglich, wie erstarrt durch ihre Ohnmacht gegenüber den unerbittlichen

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