Führe mich nicht in Versuchung
wohl deshalb all die Vorträge über Anstandsregeln gehalten? Wußte auch Damien Bescheid? Und Max? Das ergab einen Sinn. Warum sonst hätte sich Maxens Verhalten ihr gegenüber ändern sollen? Warum sonst hielt er sich von ihr fern? Sie räusperte sich. »Und haben Damien und Max auch so scharfe Augen?«
»Natürlich.«
Sie wäre am liebsten in den Boden versunken, aber Bruce zuckte nur die Schultern und fuhr fort: »Sie haben Augen, aber sehen nur, was sie sehen wollen.« Er legte seine Hand unter ihr Kinn. »Keine Sorge. Ihr Geheimnis ist bei mir in Sicherheit.«
Diese Geste in Verbindung mit seinem aufrichtigen Gesichtsausdruck trösteten sie ein wenig. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er sich seiner Schwester gegenüber genauso verhalten hatte. Sie senkte einen Moment den Kopf, um sich zu sammeln und über das, was Bruce gesagt hatte, nachzudenken. »Max und Damien sind Ihre Freunde. Sollte Ihre Loyalität nicht zunächst ihnen gelten?«
Seine Augen begannen, wieder übermütig zu blitzen. »Es liegt mir völlig fern, zwei so furchterregende Männer aufzuklären, wenn sie sich entschlossen haben, das, was offensichtlich ist, zu ignorieren.«
»Furchterregend ... ja, das sind sie wohl«, bemerkte sie. »Und es wird von Tag zu Tag schlimmer.« Sie hatte noch niemals zuvor auf diese Art und Weise über Damien und Max nachgedacht, und doch war es eine gute Beschreibung von Maxens Verhalten nach ihrem Debütantinnenball und erklärte auch die Wut, die sie an dem Tag, als er nach Bassett House abreiste, am Frühstückstisch empfunden hatte, als sie ihm gegenübersaß. Obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, sich jemals von Damien eingeschüchtert zu fühlen, so war ihre Zuneigung zu Max von einem Gefühl der Bedrohung begleitet. »Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen verübeln oder Ihnen danken soll, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.«
Bruce warf ihr ein freches Grinsen zu. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen, bevor uns doch noch jemand entdeckt. Anstandsregeln, Sie wissen schon.« Er hatte gerade die Tür erreicht, als sie von der anderen Seite geöffnet wurde.
Damien und Max standen auf der Türschwelle. Ihre Blicke wanderten durch den Raum und blieben an Bruce hängen.
Maxens Augen wurden hart wie Feuerstein.
Damiens Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie.
Panik presste Jillians Brust zusammen. Sie schluckte schwer, und ihr Blick eilte zwischen Max und Damien hin und her. Ihr erster Impuls war gewesen, Max um den Hals zu fallen, aber sein kalter Gesichtsausdruck hielt sie zurück, und auf Freude folgte rasch Entrüstung und Trübsal. Als sie Damiens finsteres Gesicht sah, überfiel sie ein schlechtes Gewissen, da sie die Regeln gebrochen hatte. Sie wäre am liebsten davongerannt und wollte doch auch dableiben. Sie hatte Max zwei lange Wochen nicht gesehen, aber nun da sie sich seinem Missfallen ausgesetzt sah, wünschte sie, er hätte noch eine Stunde länger mit seinem Erscheinen gewartet.
Und doch war Max der einzige Grund, der sie veranlasste, im Zimmer zu bleiben, und ein Gefühl der Liebe und der Sehnsucht durchfuhr sie. Sie öffnete ihren Mund, um zu sprechen, aber es kam kein Ton heraus.
»Damien, Max«, begrüßte sie Bruce gelassen und wandte sich Damien zu. »Du kommst spät zu unserer Verabredung. Jillian hat mir freundlicherweise in der Zwischenzeit Gesellschaft geleistet.«
»Wie aufmerksam von ihr«, erwiderte Max mit eisiger Stimme, stolzierte an Bruce vorbei und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Schreibtisch.
Jillian richtete sich auf, hob ihr Kinn und weigerte sich, ihren Tränen, die ihr in den Augen brannten, freien Lauf zu lassen. Bei seiner Abreise hatte er kaum ein Wort mit ihr gesprochen und nun, nachdem er zwei Wochen fort gewesen war, konnte er sich nicht einmal dazu durchringen, ihre Anwesenheit mit einer höflichen Bemerkung zur Kenntnis zu nehmen. Nun, zumindest hatte sie selbst gute Manieren.
»Max, wie schön, dich wieder hier zu haben. Wann bist du zurückgekehrt?«
»Gestern abend«, stieß er hervor und sagte dann an Bruce gewandt: »Sollten wir nicht mit unserer Besprechung beginnen?«
»Warum verschieben wir es nicht auf nächste Woche?« fragte Damien, während er Jillian mit seinem Blick durchbohrte. »Ich werde dir eine Nachricht über Zeit und Ort zukommen lassen.«
»Warum nicht«, entgegnete Bruce, räusperte sich und wandte seine Aufmerksamkeit Max zu. »Ich freue mich, dass du dich wieder erholt hast.«
Max nickte
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