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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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überholt ein besonders langsames Auto, das kaum den Hang hinaufkommt. Einen Moment lang meint er, durch die Windschutzscheibe ihr trauriges Gesicht zu erkennen, es ist ja auch kein Wunder, dass sie unaufmerksam fährt, doch da ist sie auch schon verschwunden, überholt von anderen Autos, er wird jetzt nicht am Straßenrand anhalten und auf sie warten, er wird weiterfahren, nach Hause, denn das ist es, was der Tote ihn lehren möchte, bring dein Haus in Ordnung, solange du noch ein Haus hast, und er stellt sich vor, wie er mit dem riesigen, begeisterten Hund den Wadi durchquerte, vielleicht wohnt sie nicht weit von dort, in einem der Häuser, die am gegenüberliegenden Hang in der Dunkelheit aufblitzten, und hat von dort aus sein Leben beobachtet. Hat ihnen die Ausrede, er wolle mit dem Hund spazieren gehen, geholfen, sich zu treffen, bis er schon nicht mehr laufen konnte? Und was haben sie dann getan, hat ihn der Hund bis zu ihrem Haus gezerrt und er ist dort zusammengebrochen, hat sie ihn von dort zur Notaufnahme gebracht, und wo war seine Ehefrau Elischewa an jenem Morgen, der offenbar sein letzter war, und wer war an seiner Seite, als er seine Seele dem Schöpfer zurückgab? Ihm ist klar, dass er die Wahrheit nie erfahren wird und dass auch seine Deutungen sich je nach Stimmung ändern werden. Das, was er hinter dem Vorhang beobachtet hat, muss nicht dazu führen, eine neue Liebe zu suchen, er kann auch nach Hause zurück, zu Schlomit und den Jungen, und versuchen, den faden Brei des Familienlebens mit dem Gewürz des Todes zu versüßen, denn ihm scheint, er habe den Mund voll mit diesem Geschmack, salzig und süß zugleich, wie die honigwabenähnliche Frucht, die an jenem Strauch wächst, und als er das Auto abschließt, bemerkt er ein goldenes Blatt, das unter dem Scheibenwischer steckt, ein Blatt, das mitten im Sommer vom Baum gefallen ist, und er streichelt sich mit dem Blatt über die Wange und schiebt es vorsichtig in seine Hemdtasche, und die Berührung, kühl und angenehm wie eine streichelnde Hand, spürt er auch noch, als er, mit Plastikdosen beladen, durch die Haustür tritt.
    Für ihn ist es, als überbringe er eine wichtige Botschaft, aber sie ignorieren den Moment, sogar der Kleine, der im Wohnzimmer in einer Ecke sitzt, neben seiner Spielzeugkiste, beachtet ihn nicht, als er eintritt, vom Balkon her dringt Zigarettenrauch in die Wohnung, Schlomit hat sich noch immer nicht die Telefon-Zigarette abgewöhnt, er folgt dem Rauch, sie lehnt, mit dem Rücken zu ihm, am Geländer und bemerkt ihn gar nicht. Ja, du hast recht, sagt sie, aber das sagt sich leicht, ich kann nachts nicht schlafen vor Sorgen, ein Windstoß bläst ihre Haare auf und für einen Moment sind ihre Schultern zu sehen, fleischig und trotzdem anziehend, in ihrem Nacken wachsen schwarze Haare wie im Nacken eines Hundes, und als er die Hand danach ausstreckt, dreht sie sich mit einer scharfen Bewegung um, Avner, du hast mich erschreckt, fährt sie ihn an, wie lange stehst du schon hier? Was ist das? Sie reibt sich den Nacken, als hätte sie etwas gestochen, hast du mir Motoröl aus der Werkstatt draufgeschmiert? Und er hält ihr die Tüte mit den Dosen hin, ich habe etwas zu essen mitgebracht, und sie sagt schnell in den Hörer, ich rufe dich später an, Groll ist in ihren blauen Augen, die ihn früher liebevoll und erstaunt angeblickt hatten.
    Was für schöne Augen eure Kinder haben werden, hat man früher zu ihnen gesagt, denn beide haben sie die seltenen blauen Augen unter schwarzen Augenbrauen, aber Tomer muss sich mit den normalen braunen Augen seiner Großmutter Chemda begnügen, und Jotam betrachtet die Welt mit blauen Augen, aber sie sind klein und stehen ein bisschen schräg, ganz anders als die weit auseinanderstehenden Augen Schlomits, aus denen ihm einmal so viel Liebe entgegengestrahlt hat, doch schon seit Jahren blicken sie ihn aggressiv und verletzend an, und nun meint er auch Spott zu erkennen, während sie ihren Nacken reibt und ihre Finger mit Abscheu betrachtet, als gäbe es keine Frau, die in Sachen Sauberkeit pedantischer wäre als sie, und er hängt die öltropfende Tüte an das Geländer, und dort wird er sie noch am nächsten Abend finden, nachdem die Sonne das Essen schon verdorben hat, und trotzdem wird er eine Dose nach der anderen öffnen und daran riechen und den verdorbenen Geruch genießen, das Gefühl der Missbilligung, als habe er seiner Frau und seinen Kindern von vornherein verdorbenes Essen

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