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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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mich nur darauf? Nehmen wir uns hier als Beispiel, die Oberen sind Politbüro und Militär, die unten sind die Volksmassen und einfachen Leute, wenn wir gut essen und trinken und unsere Macht ausspielen wollen, müssen wir an einem Strang ziehen. Nur wenn es intern keine Probleme gibt, kann man, was aufmuckt, unterdrücken. Aber man muss ihnen etwas Spielraum lassen, und die unten müssen wissen, dass wir Nahrung des Volkes sind.«
    »Ist Ihnen da kein Fehler unterlaufen? Muss es nicht heißen, das Volk ist Nahrung der Partei?!«
    »Unsinn! Wenn die unten sich satt essen, dann müssten sie uns ins Gesicht schauen. Schau hier die Zigarette in meiner Hand, wem ich sie geben will, dem gebe ich sie – aber was meinst du, ist es besser, sie als Ganze herzugeben oder nur zur Hälfte, zur kleineren Hälfte oder nur die Kippe? Ich sage, zuerst auf jeden Fall nur die Kippe, als Belohnung, wer sich beim nächsten Mal noch einmal bewährt, bekommt wieder eine Kippe; und wenn dann einer eine ganze Reihe von guten Leistungen gezeigt hat, bekommt er in der Zelle eine höhere Stellung – und erst dann mache ich seiner Enthaltsamkeit ein Ende, und er bekommt eine halbe Kippe, eine kleinere Hälfte wohlgemerkt. Belohnung ist eine Wissenschaft für sich, man darf auf keinen Fall zu weit oben anfangen, sonst werden sie gierig, und wenn man die Belohnungen dann wieder herunterfahren muss, wird es schwierig – man muss die unten immer glauben lassen, dass das Beste noch kommt.«
    »Über das Regieren mit Zigarettenkippen«, spottete ich, »Sie könnten Ministerpräsident des Staatsrats werden!«
    »Bei Erfolg König, bei Misserfolg Bandit.«
    Doppelkreuzung zeigte den Unmut des verkannten Genies: »Daran ist nur mein Großvater schuld, er ist damals nicht mit der Roten Armee auf den Langen Marsch und nicht über die Schneeberge.«
     
    Vor dem Mittagsschlaf wurde ich von Doppelkreuzung routinemäßig »untersucht«: Er saß oben, ließ mich niederhocken, sehr würdevoll das Ganze, als sei er vom internen Geheimdienst: Name, Alter, Geburtsort, Bildungsgrad, Tatbestand – als er das alles gefragt hatte, war sein Hang zum Richterspielen befriedigt, und er ließ mir durch einen von der Verwaltung die handgeschriebenen »Vorschriften für einbehaltene Personen« überreichen, die musste ich innerhalb von zwei Tagen auswendig lernen, dann wurde hinter meine Aufnahmeformalitäten für das Gefängnis ein Punkt gesetzt.
    Die Killer legten fest, wer wo schlief, und reichten einem ein fischnetzartiges Wattefutter. Die Oberen zogen sich alle neben die Tür zurück und ließen sich von der Regierung und dem Vergnügungsgesindel die Betten machen. Von den alten Zhaos angefangen hatten die Oberen samt und sonders schneeweiße Bettlaken, es musste sorgfältig darauf geachtet werden, dass über und unter den Laken kein Fremdkörper zurückbleiben konnte. Dann kam die Reihe an die Killer und die Regierung, sie schlugen ihr Lager in der Ecke gegenüber der Tür auf. Der weißhaarige Alte legte sich unmittelbar anschließend ebenfalls hastig hin, ich zögerte ein wenig und wurde direkt angemacht, so dass mir nichts anderes übrigblieb, als in den Kleidern zu schlafen – aber mein Hintern, der das Fischnetz nach außen wölbte, bekam sofort einen heftigen Tritt. In meinen Ohren rauschte es, als würde Nassreis geerntet.
    Ich richtete mich auf, streckte den Kopf aus der vergammelten Baumwolle heraus, aber ich sah nur, dass die Oberen eine entsetzliche kreisrunde Schutzwand aus Menschenfleisch bildeten.
    »Hier wird nackt geschlafen!«, befahl Doppelkreuzung.
    Bestürzt zog ich mich zurück.
    »Das ist Zellengesetz«, erklärte Huang Gang.
    »Ich bin das anders gewöhnt«, widersprach ich schnaufend.
    »Typische Intellektuellenmarotte«, Doppelkreuzung lachte kalt, »das ganze Diebesgesindel hier ist nackt, du bekommst da keine Extrawurst.«
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich stand auf, sah, dass die Betten der sieben Oberen zwei Fünftel des Zellenraumes einnahmen, den Rest teilte sich das restliche Fellgesindel, an die zwanzig Personen.
    Unterhalb der Müßiggänger lagen die stinkenden Sardinen in zwei Reihen nach innen und außen gestapelt, zwei Leute teilten sich eine Decke, das Gesäß des einen schob sich in die Kniebeuge des anderen, nahtlos, kein Messer hätte dazwischengepasst. Trotzdem hatten die Killer den Verdacht, sie lägen nicht wirklich eng, also maßen sie nach, wie die Schreiner, mit selbstgemachten Maßbändern, und die

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