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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Vegetarier, wenn du weißt, was ich meine, wenn du es wagst, einen Becher kaputtzumachen, dann mache ich dich kaputt.«
    Den Sekretariatsangestellten hielt es nicht mehr, er murmelte: »Von wegen Dichter, kein Benehmen!«
    »Na, dann verurteilt mich doch wegen schlechten Benehmens!«
    »Du meinst, das wage ich nicht?« Qin holte aus, verharrte aber in der Luft und ließ die Hand wieder sinken. Händereibend drehte er zwei Runden durch den Raum, dann stürzte er hinaus.
    Ich war streitsüchtig, legte den Stift beiseite und sagte: »Das unterschreibe ich nicht.«
    Die Stimmung war eine Viertelstunde lang eisig, ein unguter Zug wehte durch den Raum, mir standen die Haare zu Berge bei dem Gedanken, wen sie als nächsten Verhörleiter anbringen würden, aber Qin kam überraschend zurück. Er rieb sich die Hände: »Ich habe mich wieder in der Gewalt, nichts passiert, nichts passiert, lass uns das Ganze etwas ruhiger und gelassener angehen …«
     
    Die Nacht war still, bei Qin waren noch keine Anzeichen von Resignation zu bemerken.
    »Ich habe Hunger, ich muss etwas essen und brauche eine Pause.«
    »Auch wir haben heute nur einmal etwas zu essen bekommen«, machte der Sekretariatsangestellte seinem Frust Luft, »und das alles nur, um dich zu retten.«
    »Na, dann macht doch morgen weiter mit dem Retten.«
    »Und du willst immer noch keine Vernunft annehmen?«, sagte Qin wehmütig.
    »›Massaker‹ und ›Requiem‹ habe ich geschrieben, ich habe als Erster das Recht zu sagen, um was es darin geht, wenn das von anderen verdreht wird, das zählt nicht.«
    »Wie oft habt ihr euch in aufrührerischer Absicht getroffen?«, stimmte der Beisitzer in den Chor ein.
    »In Gruppen von mehr als fünf Leuten mindestens zehnmal.« Qin hatte den Plan im Sack. »Nach dem 4. Juni habt ihr Versager euch zigmal getroffen, das Treffen am diesjährigen Frühlingsfest war ein weiterer Höhepunkt, in dem sich das Treffen vom Xiaonanhai-See im Kreis Qianjiang fortsetzte.«
    »Sehr um- und weitsichtig«, spottete der Sekretariatsangestellte.
    »In der zweiten Nacht«, Qin hatte eine Eingebung, er verließ seinen Stuhl und ging auf und ab, die rechte Faust hielt er leer an den Mund, so wie Sherlock Holmes seine Pfeife hielt, »in der zweiten Nacht habt ihr bei dir zu Hause zu fünft um einen Grill herumgesessen, da hat Liu Taiheng zum ersten Mal vorgeschlagen, ihr solltet euch der Technik, der Ausrüstung und des Arbeitsplatzes von Zeng Lei bedienen, alle sollten Geld sammeln und dann einen Film über die Niederschlagung des Aufstandes vom 4. Juni drehen. Damals lagen Name und Thema ›Requiem‹ noch nicht fest, aber dass es grundsätzlich so beschaffen sein sollte wie das ›Massaker‹, das stand zweifelsohne fest. Und weil du so ein ausgesprochenes Vortragstalent bist, haben alle Anwesenden einmütig dich für die große Hauptrolle vorgeschlagen. Bei einer Gruppenverschwörung von diesem Ausmaß warst du und waren deine Gedichte, ohne dass es dir noch recht bewusst gewesen wäre, von Anfang an die Requisiten, an denen man die Schnur auffädelte. Wer hat denn hinter den Kulissen die Fäden gezogen? Hatte da jemand von außerhalb eures Kreises die Hand im Spiel? In dir drin weißt du ganz genau, dass es sehr ungerecht wäre, wenn, wie es deine Kumpane hoffen, die ganze Verantwortung an dir hängenbleiben würde.«
    »Eigentlich war es so!«, stellte ich sofort klar, »ich war der Einzige, der keine Ahnung von der ganzen Verschwörung hatte.«
    Qin erstarrte, eine Gelegenheit, die ich nutzte, um mich zu rechtfertigen: »Damals hatte ich Verstopfung, ich habe geschlagene zwei Stunden auf dem Klo gehockt, und als ich wieder rauskam, hatten die Kerle längst die Falle aufgestellt, ich hatte die Hosen noch nicht richtig zu, da war ich schon der Anführer …!«
    »Gut, reden wir einfach ein bisschen, nicht protokollieren«, für die zweite Hälfte der Nacht hatte der dunkelgesichtige Qin kräftig Kreide gefressen. »In den vergangenen Tagen habe ich mich eingehend mit deinen Gedichten beschäftigt, ich bin ein richtiger Fan von dir geworden! Ich finde ›Requiem‹ interessanter als ›Massaker‹, uneigentlich Gesagtes hat doch viel mehr Kraft als direkt Ausgesprochenes.
    Die meisten Genossen im Amt sind der Auffassung, dass damit Mao Zedong gemeint ist, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das eine Anspielung auf Deng Xiaoping ist, nicht schlecht, der alte Deng und auch der alte Mao haben in ihren späten Jahren ja in der Tat ein wenig

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