Fuer Elise
Vielleicht, überlegte sie, gefiel sie ihm einfach nicht. Sie war viel zu dünn. Wenn sie einfach nicht mehr da wäre, wenn sie verpuffen würde…? War das das Gleiche wie Selbstmordgedanken zu haben? Wen kümmerte das? Ihr Vater schien seit Jahrhunderten tot. Es hatte keine Bedeutung mehr. Micha hatte sie vergiftet.
Elise registrierte, dass ihr Blutdruck sich erhöhte und folgte dem Impuls. Gift… Als zöge ein Magnet an ihr, verließ sie ihr Zimmer und stieg hinunter in die Eingangshalle. Es war zu kühl im Treppenhaus für ihren Aufzug, barfuß in einem Sommerkleid. Aber sie nahm das nur wahr, ohne es zu bewerten.
Ihr Blick fiel auf die Verlängerung der Treppe ins Untergeschoss. Das Dunkel wirkte anziehend und Elise ging weiter. Sie nahm die erste Stufe und fühlte einen Hauch Lebe n, als sie aus dem Licht trat. Ein Gefühl, als bessere sich alles, wenn sie sich nur für immer im Dunkel verstecken konnte.
Sie schloss die Augen und ging die Stufen hinunter, konzentrierte sich auf ihre Atmung und den kalten Boden. Wie in Trance zählte sie ihre Schritte. Botulinum.
Die kleinste Menge Gift tötete.
Was für ein blödsinniger Gedanke…
Die Tür glitt auf und ein bekanntes Scharren ließ sie aufhorchen. Ob die Botulismus-Ratte bereits von ihrem Leid erlöst war?
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass tatsächlich ein schwacher Lichtschein aus der Eingangshalle bis ins Labor vordrang. Sie konnte die Umrisse der Tische erkennen und ihre Augen waren hier nicht so gefordert Informationen an ihr Gehirn weiterzuleiten, als im Hellen.
Sie ließ das Licht aus und trat zwischen die Tische. Mit der Hand fühlte sie sich am Tisch entlang, bis zu der Stelle, wo die Spritze lag. Aber als sie sie berührte, zuckte sie zurück. Einem inneren Drang folgend, schaute sie zu der schiefen Tür im Eck.
Tote Nonnen… Gefahr … die Pflicht der Brennans…
Der Schlüssel steckte. Da war ein Impuls, ein Wille, der keine andere Entscheidung möglich machte und keine Zweifel oder Gegenfragen duldete.
Sie trat auf die Tür zu, legte die Hand auf den Schlüssel und drehte ihn. Fast von allein sprang ihr die Tür entgegen.
Mit einem Mal war Elise blind.
Die Dunkelheit aus der Höhle fraß die letzten Lichtreflexe des Raumes auf. Der Sog, der sie gleichzeitig einfing, berauschte sie, so dass sie die Kälte auf ihrer Haut kaum mehr wahrnahm. Micha existierte nicht mehr. Der Schmerz drängte sich in einer Ecke ihrer Seele zusammen und Elise fühlte einen brennenden Wunsch:
Sich in dieser Schwärze zu verlieren.
Der erste Schritt war ganz einfach. Sie verharrte in der Bewegung, bevor sie den zweiten Fuß nachzog.
Für einen Moment verlor sie die Orientierung.
Aber dann änderte sich alles. Ihrem Körper schien die Schwerkraft genommen. Die Luft kühlte ihre Lungen und war angereichert mit einem süßen Duft, der an ihren Nasenflügeln haften blieb.
All ihre Sinne waren befreit.
Nachtschattengewächse
Mit dem nächsten Schritt durchbrach Elise die Barriere aus Dunkelheit. Ein schwacher Lichtschein aus der Tiefe erhellte die Treppe gerade so weit, dass sie gefahrlos gehen konnte. Ihre Sicht endete aber immer mit den nächsten drei Stufen an der kommenden Windung.
Sie stützte sich mit der Hand am Mauerwerk ab und tastete sich langsam vor. Eine Lebendigkeit erfüllte sie, die Angst unmöglich erscheinen ließ. Aber gleichzeitig ergriff ihren Verstand auch eine warnende Vorahnung.
Entfernt hörte Elise ein Flattern. Es klang wie Hautlappen die aufeinander schlugen. Ihre nackten Füße waren mittlerweile so kalt, dass sie nur mit Mühe spürte, wenn ihr Fuß auf die nächste Stufe aufsetzte. Sie umrundete eine weitere Biegung und erstarrte.
Die Stufen mündeten in eine nur wenige Meter tiefe Höhle. Ein zweiter Ausgang lag gegenüber, dort, wo das Licht einer Kerze auf dem Boden flackerte.
Direkt neben der Kerze, mit dem Blick eines Gelangweilten, stand er.
Um seine zu blassen Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns. Er schritt langsam an der Wand entlang. Sein Körper besaß die Gestalt eines Menschen, aber gleichzeitig brach seine Erscheinung in Elise jeglichen Mut. Es war das gleiche Gesicht, die gleiche Statur und das gleiche böse Lächeln wie in ihrem Traum.
Elise wusste, dies konnte der Moment sein, kurz bevor sie starb.
Wenn sie wollen, töten sie schnell. Du wirst nicht mal bemerken ihr Opfer gewesen zu sein…
Ihr Herz hämmerte seine Schläge gegen ihre Brust.
"Lass
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