Für immer, Dein Dad
so. Ich glaube, meinen größten Fehler habe ich bei einem Streit zwischen meinen SchwesternPhilomena und Ina begangen. Ich erzähle jetzt keine Einzelheiten – in diesem Leitfaden soll es um DICH gehen –, aber ich habe Partei ergriffen, und das hätte ich nicht tun sollen. Dieser Krach bestimmt unser Verhältnis bis heute. Aber ich habe aus diesem Fehler gelernt. Und ich hoffe sehr, dass Ina mich besucht. Gerade jetzt.
Na ja.
Also, Du wirst ein paar Fehler im Leben machen. Vielleicht sogar mehr als ein paar. Oder soll ich Dir was vormachen und sagen, dass Du ohne jede falsche Entscheidung durchkommst? Der Trick besteht darin, aus seinen Fehlern zu lernen, an ihnen zu wachsen. Wenn Du das nicht tust, dann bleibt der ganze Stress umsonst.
Als ich an dem Tag, bevor die Post den Scheck brachte, nach Hause kam, waren Mum, Bingo-Mann und Abbi allesamt auf dem Sofa vor dem Fernseher eingeschlafen. Ich stand da und betrachtete sie lange. Ein ungewohntes, unerklärliches Gefühl machte sich in mir breit. Eine Art Einsamkeit. Eine Traurigkeit, die mich auch nicht verließ, als ich in mein Zimmer gegangen war. Ich fühlte mich wie ein Eindringling.
Glücklicherweise kam der Scheck am nächsten Morgen, und am frühen Abend war ich wieder in meine Wohnung zurückgezogen, wenn es dort auch noch aussah wie auf einer Baustelle.
Den ersten Tag meines neunundzwanzigsten Lebensjahres beschloss ich im Bett zu verbringen. Ich zog mir die Decke über den Kopf und hoffte, dass mich alle vergessen hatten. Doch als ich schließlich durch den Wohnungsflur tapste, waren mehrere Umschläge durch den Briefschlitz geworfen worden. Biyi hatte eine kitschige Karte geschickt,Carla eine, die nicht gerade jugendfrei war, und von Mum, Abbi und Bingo-Mann war eine gedruckte Glückwunschkarte gekommen, auf der sie mir alle gratulierten. Ich muss zugeben, dass ich mich doch freute, weil sie an meinen Geburtstag gedacht hatten.
Jetzt bist Du achtundzwanzig! Glückwunsch!!
Mein kleines Mädchen wird richtig erwachsen.
Einiges hat sich inzwischen bestimmt verändert. Bist Du etwa nicht viel selbstbewusster als früher und weißt genauer, wer Du bist und was Du willst? Ich frage das, weil ich in diesem Alter wirklich zum Mann wurde. Irgendetwas in meinem Inneren hatte sich verändert. Klar, ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen – außerdem stimmt es, dass Männer ein bisschen länger zum Erwachsenwerden brauchen als Frauen. Also sieh es mir nach, wenn das, was ich gerade schreibe, gar nicht zu Dir passt. Vielleicht bist Du längst flügge und eine gestandene Erwachsene, der man schon seit Jahren nichts mehr vormachen kann …
Nachdem die Handwerker alles fertig hatten, verflüchtigten sich auch bald die letzten Farbgerüche aus der Wohnung. Als ich die Renovierung bezahlt und ein paar Sachen durch wesentlich billigere Geräte ersetzt hatte, kam es mir so vor, als ginge es langsam wieder aufwärts. Biyi freute sich riesig, als ich ihn anrief, um mich für seine Karte zu bedanken. Er beharrte darauf vorbeizukommen, und ich erklärte mich einverstanden. Ich redete mich darauf heraus, dass er mir eben guttat, doch als wir miteinander schliefen, versuchte ich alles, um meine Gefühle herauszuhalten. Und noch mehr, als er meinen Namen flüsterte und mir sagte, dass er mich liebte.
«Geht’s dir gut, Lois?», fragte er, als wir uns aneinanderkuschelten.
«Ich glaube, ja.»
«Das reicht mir schon.»
Ich wollte lächeln. Doch ich tat es nicht. Ich konnte es nicht. «Dir ist klar, dass das … hier, also, dass … es eine einmalige Angelegenheit ist. … Ich will nicht …»
Er legte mir den Zeigefinger auf die Lippen und nickte. «Ich weiß.»
… ich will Dich natürlich nicht unter Druck setzen. Vielleicht läuft es gerade nicht so gut für Dich. Aber ganz gleich, was schiefgeht, denke daran:
Wo Leben ist, ist auch Hoffnung.
Du bist am Leben. Mach was daraus, Liebling, Dir stehen ALLE Türen offen, solange der Tod nicht nach Dir greift. Hätte ich mich doch nur daran gehalten, als ich noch gesund und lebendig war.
* Ich liebe Dich, Du bist mein Stern. Dad.
Dads Worte berührten mich tief. Ich jammerte wirklich auf ziemlich hohem Niveau. Langsam atmete ich aus und las den Abschnitt noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal, so lange, bis ich ihn auswendig konnte. Bis er mich wirklich im Innersten durchdrungen hatte.
Ich lebte.
Jeden Tag starben Menschen.
Aber ich lebte.
Es wird
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