Fuer immer Ella und Micha
deine Situation, aber ich habe hier einen Laden zu führen, und … tja, wenn er so ist wie jetzt, macht er eine Menge Probleme. Ich helfe ja gerne, aber nur, solange es meinem Geschäft nicht schadet.«
»Ich komme, so schnell ich kann«, verspreche ich ihm. »Und es tut mir wirklich sehr leid.«
Er seufzt. »Ist schon okay. Ich weiß, wie hart es für dich ist. Schließlich bist du fast noch ein Kind.«
Ich war nie ein Kind. Nicht richtig jedenfalls. Mit sechs Jahren habe ich den Abwasch erledigt und das Haus geputzt; mir mit acht selbst mein Essen gekocht, und seit ich zehn war, habe ich aufgepasst, dass meine Mom ihre Medikamente nahm.
Ich verabschiede mich, lege auf und sacke auf die Wildledercouch. Die Wohnung ist klein, hat weiße Wände, einen braunen Teppich und einen Fernseher in der Ecke. Zwischen Küche und Wohnzimmer gibt es eine enge Essecke. Es riecht nach Zimt, und die Küchenspüle quillt über vor schmutzigem Geschirr.
Ich presse die Finger seitlich an meine Nasenwurzel. » Scheiße!! Wen soll ich anrufen?« Ich lasse meine Hand in den Schoß fallen und wähle Ethans Nummer.
Er meldet sich nach dem dritten Klingeln. »Okay, das ist jetzt echt nicht normal. Du rufst mich nie an.«
»Ich muss dich um einen Gefallen bitten.« Ich atme ein und raffe meinen Mut zusammen. »Kannst du bitte meinen Dad aus dem Hub and Grub abholen und bei ihm bleiben, bis ich nach Hause komme?«
Eine Sekunde lang kommt nichts. »Ja, kann ich machen.«
»Ich danke dir«, sage ich ehrlich erleichtert. »Ich komme so schnell wie möglich, versprochen. In spätestens zwölf Stunden bin ich da.«
»Nur die Ruhe, Ella. Ich habe doch gesagt, dass ich es mache. Du kommst, wenn du kannst.«
»Okay. Ich rufe dich an, wenn ich losfahre.«
»Ist gut.«
Ich lege auf, lasse das Telefon auf den Couchtisch fallen und frage mich, wie ich einen Wagen auftreiben soll. Ich fange schon an, Michas Nummer zu wählen, als ich es mir anders überlege. Seit vorgestern habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen, und das Letzte, was ich will, ist ihn anrufen und jammern.
Außerdem kann er gar nichts tun.
Er ist auf der anderen Seite des Kontinents.
Micha
»Wenn du weiter die falsche Note triffst, muss ich dir die Gitarre wegnehmen«, warne ich Naomi.
Wir sitzen mit unseren Gitarren auf dem Schoß auf dem Bett in der Einzimmerwohnung. Überall auf dem Boden liegen schmutzige Klamotten, und die Küchenoberflächen sind voller Müll. Dylan und Chase sind in einer Bar, um Mädchen aufzureißen. Ich trage nur meine Pyjamahose, und Naomi hat sich das nasse Haar aufgesteckt, weil sie gerade geduscht hat.
»Sei kein Arsch«, scherzt sie und löst das Haargummi, sodass ihr das Haar über die Schultern fällt. »Der Ton, den ich spiele, klingt viel besser als der, den wir deiner Meinung nach nehmen sollen.«
Ich schüttele den Kopf und schlage die Saiten meiner Gitarre an. »Kommt ganz drauf an.«
Sie spielt einen Akkord und fragt über den Klang hinweg: »Worauf?«
»Ob du vor einem Publikum ohne musikalisches Gehör spielst oder nicht«, antworte ich grinsend.
Sie verdreht die Augen und legt ihre Gitarre beiseite. »Manchmal kannst du so ein Arschloch sein.«
Sie hat recht, aber dafür gibt es einen Grund. Ungefähr vor zwei Tagen machte ich eine Besichtigungstour und suchte nach einem Gebäude, in dem angeblich mein Vater arbeiten sollte. Ich hatte gerade mit meiner Mom telefoniert, die mir nicht bloß erzählte, dass sie mit irgendeinem Idioten verreisen will, der halb so alt ist wie sie, sondern dass mein Vater jetzt in New York City lebt.
Ich wollte einfach nur sehen, wo er arbeitet – aus purer Neugier. Als ich vor dem Gebäude stand, kam mir ein Mann entgegengelaufen, der nach einem Taxi winkte. Es war mein Vater, und ich wollte mich wegdrehen, doch da hatte er mich schon gesehen und winkte mir zu. Am liebsten hätte ich ihm den Mittelfinger gezeigt; stattdessen konnte ich nur mit offenem Mund dastehen wie ein kleines Kind.
Er hatte einen schwarzen Anzug unter einem Trenchcoat an und sah nicht froh aus, als er auf mich zukam. Mit Augen, die meinen vollkommen glichen, starrte er mich an. »Micha, was tust du hier?«
»Ich wohne hier für einige Zeit«, antwortete ich verkniffen. »Was machst du hier?«
Er zeigte auf das hohe Gebäude mit der Stahlfassade. »Ich bin vor zwei Wochen hierher versetzt worden. Ich hatte deine Mom angerufen und es ihr erzählt.«
Ich tat so, als wüsste ich es noch nicht. »Ah, ja, du musst echt
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