Fuer immer Ella und Micha
auf, ehe ich noch etwas sagen kann.
Ich raufe mir die Haare und trete gegen die Wand hinter der Bühne. »Verfluchte Scheiße!«
Alle im Club starren mich entgeistert an. Ich springe von der Bühne und laufe zur Tür.
»Wo willst du hin?«, ruft Naomi, wendet sich vom Barkeeper ab und will mir nach. Ich ignoriere sie und gehe raus auf die belebte Straße.
Nichts läuft so, wie ich es geplant hatte. Ich habe Ella noch gar nicht erzählt, was ich empfinde – was ich mir von ihr wünsche –, und sie schiebt mich schon von sich. Vielleicht muss ich mir etwas anderes ausdenken.
Oder es ist vielleicht Zeit weiterzuziehen.
Ella
»Soll ich dich reinbringen?«, frage ich meinen Dad, während ich den Wagen parke. Wir sind vor der Entzugsklinik, einem kleinen Sandsteinbau mit einem schmalen Sitzbereich draußen, wo Bänke stehen, auf denen Leute sitzen und rauchen. Es ist ein wolkiger Tag, und Blätter fallen von den Bäumen auf die Kühlerhaube des Wagens.
Mein Dad schüttelt den Kopf und löst seinen Gurt. »Ich komme klar, Ella. Und du fährst lieber weiter, ehe es zu spät wird.«
»Bist du sicher? Wie ich dir schon zu Hause gesagt habe, kannst du jederzeit mit mir reden, wenn du willst.«
Er sieht zum Eingang. »Ich meinte das nicht so, was ich gesagt habe. Ich gebe dir keine Schuld, denn ich weiß, dass du nichts dafür konntest.« Ich sehe ihn an. Seine Augen sind nicht mehr glasig und blutunterlaufen, doch sein Blick ist nach wie vor voller Schmerz und Hass. »Sicher kannst du dich nicht mehr daran erinnern, aber ich war nicht immer so. Früher war es schön, ehe es mit deiner Mutter schlimmer wurde und alles den Bach runterging. Es war schwer, damit umzugehen, und ich habe es völlig falsch angepackt.«
Ich bin verblüfft. So hat er noch nie mit mir gesprochen. Andererseits war er früher auch nie länger als fünf Minuten nüchtern.
»Dad, bereust du …« Ich schlucke, weil ich einen Kloß im Hals habe. »Wünschst du dir manchmal, du wärst gegangen und hättest ein normales Leben gehabt?«
Er atmet zittrig aus. »Ehrlich gesagt, ja. Manchmal blicke ich zurück und wünsche mir, ich wäre weggelaufen. Wahrscheinlich wäre ich sehr viel glücklicher geworden. Ich hasse mich, weil ich so empfinde, aber es ist leider wahr.« Er öffnet die Tür, steigt aus und beugt sich wieder hinunter. »Danke, dass du mich zurückbringst.«
Dann schlägt er die Tür zu und geht den Weg hinauf, wobei er sich schon eine Zigarette in den Mund steckt und sich zu den Leuten im Raucherbereich stellt. Eine rothaarige Frau reicht ihm ein Zippo. Er zündet die Zigarette an und nimmt einen Zug. Eine Weile sitze ich im Auto und denke über seine Worte nach, was sich wie ein Bleigewicht auf meinen Schultern anfühlt. Sieht so Michas und meine Zukunft aus? Die Therapeutin will mich schon auf Depressionen testen, und mit denen hatte es bei meiner Mutter angefangen. Was ist, wenn ich genauso depressiv wie sie ende? Was ist, wenn Micha und ich zusammenbleiben und es mit mir bergab geht? Was ist, wenn ich ihm sein Leben versaue?
Als ich vom Parkplatz fahre, will ich nur noch nach Hause, ins Bett kriechen und an nichts mehr denken.
»Ella, schwing deinen Hintern aus dem Bett!«, befiehlt Lila und reißt mir die Decken weg. »Oder ich schwöre bei Gott, dass ich dir einen Eimer Eiswasser überkippe.«
Das Sonnenlicht, das durchs Fenster hereinfällt, sticht in meinen Augen. Ich rolle mich zu einer Kugel zusammen, die Knie an meine Brust gedrückt, und bedecke meinem Kopf mit beiden Armen. »Lass mich in Frieden und mach die Vorhänge zu. Von dem Licht bekomme ich Kopfweh.«
Sie dreht die Musik leiser – »The Tide« von Spill Canvas – und hockt sich auf die Bettkante. Sie hat eine weiße Bluse, eine Jeans und Stiefel mit hohen Absätzen an. Ihr Haar ist zu Locken gedreht, und ihre Lippen und ihre Wangen sind pink geschminkt.
»Willst du weg?« Da ich das Gesicht im Kissen vergrabe, ist meine Stimme gedämpft. »Falls ja, kannst du Milch mitbringen? Die letzte habe ich gestern Abend ausgetrunken.«
Sie zerrt ein bisschen grob an meiner Schulter und zwingt mich, sie anzusehen. »Du musst damit aufhören. Du bist schon seit fast drei Tagen im Bett. Was ist eigentlich in Star Grove passiert?«
»Nichts«, murmele ich. »Ich habe meinen Dad zur Entzugsklinik gefahren und bin wieder hierher zurück.«
»Was hat dein Dad zu dir gesagt?«, fragt sie vorwurfsvoll.
»Nichts.« Ich rolle mich auf den Bauch und drücke mein Gesicht
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