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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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die großgewachsene Stefanie sich beim Eintreten nicht bücken müßte. Was die beiden aufnahm, als sie ihn passiert hatten, war eine in Duft, Schimmer und Klang gelöste, schläfrige, mürb todesnahe Schönheit. Zwielicht raschelte.
    Die seidenen Tapeten schienen mit der Musik, die aus unsichtbaren Boxen moussierte, weitherzig mitzuatmen – es war das weiche, zartbewegt lächelnde Adagio Cantabile aus Beethovens Grande Sonate Pathétique in c-Moll.
    Feine Schwüle trug die Gerüche: Valerie meinte, Minze erraten zu können, Stefanie dachte an Koreander, auch grün Würziges aus mediterranen Gegenden kam ihr in den Sinn. Oregano? Nein, das war falsch, aber das einzige aus dieser Sphäre, was Valerie kannte und woran sie deshalb dabei dachte.
    Stefanie nahm einen Hauch Jasmin wahr, an verborgene Seelensaiten rührender Geschmack der heißen Lüfte, die über den Sommerfeldern ihrer Kindheit gezittert hatten, an Flüssen, um dicke knorrige Bäume, hinter den Äckern und bis über die Wölbung der Erdoberfläche hinaus.
    Das Festlichste am allseitigen Sinnenglanz in diesem Raum, in dem erst vier der zwölf Tische gedeckt und besetzt waren, fand Stefanie jedoch den Boden: eine Kruste auf der Tiefe, schwarz und dick, porös und krumig. Es glänzte da, wie gemalt, eine Schicht, die an frischen Teer denken ließ, Lavaschorf mit feinen Schnitten und Ritzen darin, die fadig gesponnen rotgelb leuchteten: War das Schwarze ein Sonnenfleck, unter dem unbeschreibliche Hitze Fusionsglut zusammendrückte? Würden Stefanies und Valeries Schuhsohlen also gleich die Oberfläche eines mit Ascheflocken überbackenen satanischen Gestirns betreten?
    »Trau dich«, flüsterte Valerie, und tat selbst den ersten Schritt.
    Stefanie, von leisem Instinktklirren im Kopf beunruhigt, wollte sie zurückhalten. Denn obwohl sie sah, daß die niedrigen Tische und die flachen Sitzkissen ringsum, auch die Menschen, die auf vier davon Platz genommen hatten, eben nicht in den unheimlichen Grund hinuntersanken, fürchtete sie, daß der Boden / Nichtboden aus schwarzem Dreck und Feuer Schöninchen verschlingen würde wie Treibsand.
    Brodelte der Glutsumpf nicht kaum merklich, war das nicht doch der innerste Kessel der Hölle?
    Durfte man einen Fuß darauf – oder: hinein – setzen?
    »Ich bin Skriba, Ihr Ober«, sagte ein Mann, der rechts der beiden neuen Gäste von einer Gottheit namens Nirgends ausgespuckt materialisierte. Unschlüssig waren die Frauen im verwunschenen Speiseraum stehengeblieben, unter trübe flackernder Leuchte, deren glitzerweißer Glastropfenbehang Stefanie an die Zähne durchsichtiger Haie denken ließ.
    Der plötzlich erschienene Mann trug einen Zauberkünstlerfrack und viel zu weite Hosen an unverhältnismäßig langen Beinen. Seine Arme hingen schlaff und gerade am stocksteifen Leib herunter, die Finger waren gelb und voller Altersflecken.
    Das Gesicht, in das Stefanie und Valerie bestürzt blickten, schien leblos, aber nicht älter als dreißig; länglich, zu jeder affektmitteilenden Mimik außerstande, vervollkommnet von schwarzen großen Augen und rostroten Drahtwollehaaren auf dem Kopf, wie auch, weniger kräuselig, über den Augen.
    »Bitte fürchten Sie nichts, es besteht kein Anlaß. Unsere Köche heißen Sie willkommen.«
    Stefanie beschloß, Angstboden gutzumachen. Sie gab sich das Air der Blasierten: »Was empfehlen Sie so zweien wie uns, die nicht wissen, ob sie überhaupt im richtigen Restaurant, oder vielleicht auf den Mars gefallen sind?«
    »Der Sushi-Probierteller bietet von allem etwas. Er flößt am wenigsten Furcht ein.«
    Valerie freute sich: »Den nehmen wir! Zum Anfangen jedenfalls. Danach … ich weiß alles über eure Spezialitäten. Die besonderste vor allem.«
    Skriba öffnete den Mund einen winzigen Spalt. Statt aber etwas zu sagen, starrte er Stefanie an, während ein zitronengelbes, pfeilförmiges Insekt sich zwischen seinen Lippen ins Freie kämpfte, übers Kinn panisch zitterbeinig auf die linke Wange lief, diese emporkrabbelte und dann mühsam, aber zielstrebig ins Ohr des Obers kletterte.
    Stefanie schmeckte Trockenheit im Mund, zusammengeklumpten Sand, es war ihre Zunge. Die Hinterbeinchen des Insekts – es handelte sich um einen Kriegskäfer vom Promontorium Sacrum, wo die Vorfahren leben; weder Stefanie noch Valerie kannten daher diese erstaunliche Sorte Tierchen – zappelten emsig, als erst die antennenbewehrte Spitze und dann der restliche Leib in Skribas Kopf verschwanden, wäh­rend

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