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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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dieser gleichmütig erwiderte: »Unsere Spezialität, gewiß. Wer wüßte auch nicht davon, der hierherkommt. Man hat uns empfohlen?«
    Schöninchen nickte eifrig, es sah fast selbst ein wenig zombotisch aus, fand ihre befangene Begleiterin, und dann machte Valerie dem Käfermann ein Kompliment, das echte Kennerschaft verriet: »Sie sprechen sehr flüssig, für einen Toten.«
    Bevor der Angeredete darauf etwas sagen konnte, brachte sie einen Nachsatz an: »Und empfohlen hat euch meine Freundin Sarah, die eine Hexe ist, oder wie der Orden selber das nennen würde: eine von den Benandanti, genau wie ihre Famula und Spielfrau, die Christina.«
    »Die beiden Namen … deiner … Hexen habe ich wirklich schon gehört. Benandanti kommen allerdings gewöhnlich nicht hierher – wo soll dir deine Freundin denn von uns erzählt haben? Auf dem Schulhof?«
    Stefanie Mehring hätte taub und fühllos sein müssen, um den drohenden Unterton nicht mitzubekommen. Valerie vergab sich nichts: »Sie sagt, ich wär’ eine W, und also muß ich essen, was die W essen, und eine richtige W werden, nämlich so, wie die W allgemein zu richtigen W werden. Ich muß meinen Abschied nehmen von der verkehrten Welt, ich muß aufhören, ein Kind zu sein. Ich muß aufwachen und was opfern.«
    Eine Wen? Eine Wer? Stefanie kam sich vor wie völlig vors Hirn getreten – was redete die Niedlichste denn da? Mußte man hier so sprechen, um einen Tisch zu kriegen, war das die zombotische Langfassung von »Ich habe reserviert, für zwei Personen, auf den Namen Thiel?«
    »Valerie … sag mal bitte, was …«
    »Jetzt nicht«, schnappte Schöninchen. Man sah ihre Zähne dabei, als sie die Oberlippe zurückzog: Füchsin, die droht. Stefanie schluckte runter, was sie hatte sagen wollen.
    Valerie und der Käfermann – dessen Unterlippe jetzt bebte, vor den Zähnen des Unterkiefers wölbte sich etwas: War das der nächste Käfer, oder diesmal vielleicht ein schicker Mehlwurm? – starrten einander eine Weile stumm an, Duellanten auf der Main Street in einem Western.
    Dann schluckte der Scheußliche, die Unterlippe glättete sich – guten Rutsch durch die Speiseröhre, kleine Made, dachte Stefanie angewidert –, und sagte: »Gut. Unsere Spezialität. Für zwei … Turteltauben.«
    Er zwinkerte. Stefanie sagte sich, ist ja süß, also jetzt habe ich definitiv keinen Hunger mehr, Lavendel, Oleander und Jasmin hin oder her. Genau, das waren die Gerüche in »Vernell«: Mutti, der Pulli kratzt. Aber dann faßte Valeries Hand wieder ihre, und drückte zu, ein Vertrautheitssignal: Ich verhandle hier hart, laß mich nur machen, Große, dann wird’s, versprochen, ein schöner Abend.
    Der Ober tat, als habe er es nicht bemerkt, und sagte, sich ganz leicht vornüber neigend zu sehr distanzierter, höchst formell japanoider Verbeugung: »Wir hatten hier schon Gäste von den W, und solche, die glaubten, sie wären welche. Aber die meisten, die herkommen, ob W oder Menschen, verstehen nicht, daß wir mehr anbieten als diese kleine braunen glatten köstlichen Streifen, an die Du denkst, Mademoiselle, und die deine Freundin … Sarah … dir als unsere … deinen Zwecken … besonders dienliche Spezialität angepriesen hat. Das Lokal bietet alle Errungenschaften der modernen Küche, welche die postmoderne Gastronomie einfältigerweise aufgegeben hat: die Juxtaposition von mythischen und primitiven Geschmacksrichtungen unter Rückgriff auf zeitgemäße Zubereitungsverfahren, die Nutzung der Fragmentierung nicht um ihrer selbst willen, sondern zum Zwecke des Erzielens erneuter Kohärenz – denn im Magen kommt eh alles zusammen –, die Ablehnung des kruden kulinarischen Realismus als unfeiner Strategie, supplementiert vom Vertrauen auf Verfahren der triftigen geschmack lichen Abbildung, der adäquaten Repräsentation von Appetitimpulsen … die Neuschreibung kanonischer Gerüche und Gaumenerlebnisse … all dies in einer komplexen Mischung aus Parodie und ernsthaften Absichten, horizontweitend, bekömmlich, tiefsinnig.«
    Weder Stefanie noch Valerie reagierten auf den unverständlichen Vortrag, und genau so hatte das wohl auch sein sollen. Skriba deutete mit der linken Hand auf einen der Tische, weiter hinten, zur Küchentür hin, und bat ganz gleichgültig: »Bitte, folgen Sie mir.«
    Er wandte sich langsam ab. Stefanie beugte sich nah an Valeries Ohr, um sie mit einem Witzchen aufzuziehen: »Bringen Sie zweimal Hai, einmal Tintenfisch und einen Aal.«
    »Sehr wohl«,

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