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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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hatten, brachten die Coolen unter den Schülern solche Platten einander bald auch in die Schule mit, zum gegenseitigen Ausleihen – nicht jedem Deppen, selbstverständlich, das war ein elitärer Kreis; Leute, die man im Verdacht hatte, mit dem teuren Vinyl nicht umgehen zu können, kriegten höchstens mal was aufgenommen, wenn sie eine Cassette rausrückten. Christine, das reiche Mädchen, das so gut roch, meldete Zweifel an. »Warum müssen diese Cover immer so grausam und so böse sein?«
    Robert Rolf war sich nicht zu blöd, erinnerte sich Philip lächelnd, darauf jedesmal was Steiles zu erwidern über Obdachlosigkeit und Drogen, Favelas und Nelson Mandela, über Dekadenz und den Westen. Denn Robert war gegen so manches, und hatte, unter anderem, ein Poster mit den Forderungen des ANC im Klassenzimmer aufgehängt, weil er wußte, daß niemand sich trauen würde, es abzureißen: Die Kollegen waren entweder selber links oder es war ihnen scheißegal, rechte Schüler gab es nicht, in dieser versunkenen Welt – wer so tat, als stünde er rechts, meinte bloß einen diffusen Antiintellektualismus damit, weil alle intellektuellen Schüler Rote waren, oder er war Queen-Fan oder hatte Eltern, die CDU wählten.
    Originelle Details antediluvialer Zivilisationen, Folge 43623467: Queen selbst standen politisch locker anderthalb Kilometer links von einigen der Hardcore-Punk- und Metal-Bands, deren Cover Robert Rolf mit seinen metalbolschewistischen Ad-Hoc-Avantgardismen über das Elend auf Erden und die Notwendigkeit, es mit drastischer Kunst auszudrücken, so beherzt verteidigte, gegen Christine, die Wohlriechende mit den superblonden Haaren. Eigentlich waren das alles richtige rechte Spinner, diese guten Bands.
    Ausnahme: die Offenders.
    Das waren Anarchisten.
    Ausnahme: Iron Maiden.
    Das waren Sozialdemokraten, die standen sogar einen halben Lafontaine links von Queen.
    Ausnahme: The Accüsed.
    Die waren schlimmer als die Grünen und warteten unüberhörbar nur darauf, daß ihnen der Punkrock eine Frauenbeauftragte zuteilte, für on the road , zur Belehrung.
    Siebzehn Jahre nach dem Untergang dieser angenehm furztrockenen Ära hockte nun Philip nach 21 Uhr krumm auf seinem ererbten Schrabbelsofa und trank alleine Schnaps. Das tat er in letzter Zeit immer, wenn er wußte, daß Astrid keine Zeit für ihn hatte. Er würde sie jetzt fast eine Woche wohl nicht treffen, sie hatte zu tun. In die Stadt wollte er heute auch nicht, weil der unbestimmte Kummer auf einmal so riesig war. Früher, als Teenager, bestand das Leben ja oft nur daraus, immer neue Techniken gegen diesen Kummer zu erfinden: Man konnte jederzeit die Metal-Plattensammlung noch mal systematisch durchgehen, um sich am Ende zu den Klängen der neusten Ronnie James Dio auf den Wäschekorb zu stellen: Evil woman, look out, tonight!
    Man konnte sich auch auf die Geliebte einen runterholen, damals war das noch nicht durch zu viele Geständnisromane ruiniert und diskreditiert, in denen Jungschriftsteller sich dazu bekannten. Wenn man Glück hatte, sogar mit Foto. Interessante Frage: Wieso kann man das eigentlich nicht mehr so leicht, sich auf die Geliebte einen runterholen, wenn man der Geliebten mal wirklich an den Brustwarzen geknabbert hat oder ihr das Arschloch geleckt, warum ist das dann schwieriger, obwohl die Phantasie dann doch auf Material zurückgreifen könnte, welches man zuvor gar nicht … Ach so: ein Denkfehler, natürlich, lächelte Philip und goß sich noch mal was von der Farbe Honig aus Schottland ins Glas nach. Die imaginative Wichslähmung lag gar nicht daran, daß man mit der schönsten Frau jetzt wirklich Sex gehabt hatte. Es lag ­vielmehr daran, daß man sich, wenn man älter wurde, überhaupt immer schwerer dabei tat, sich vorzustellen, was gerade nicht war.
    Man verkam nämlich, auf diesem Sektor wie auf andern, das war das Dumme.
    Vielleicht, mutmaßte Philip verloren, würde alles besser, wenn ich endlich böse würde und grausam. Wie die Plattencover damals. Exodus waren fertig mit ihrer Überdosis.
    Philip stand auf, in ihm war es unheilig still geworden, dank dem Krach. Früher hatte er das geliebt, diesen Zustand, heute machte er ihm Angst: Was, so still ist es da drinnen?
    Es war einmal, da hatte er daraus ableiten können: Ich bin mir offenbar ganz sicher, wer ich bin und wo ich hinwill, deshalb ist es innen so ruhig. Jetzt aber entnahm er dieser grabähnlichen Stille nur, daß es wahrscheinlich schon länger um seinen eigenen Tod

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