Für immer in Honig
wo er mit Teufel hin und wieder saufen saß. Mitunter kam Heinz Krauss auch noch dazu, Ex-Stadtmusiker, Ex-Reifenwerkarbeiter, Ex-Mann einer an spruchsvollen Frau, jetzt trank er alles immer auf Ex, weil er so komplett Ex war. Philip ging zurück zum Plattenkoffer und holte (während Mike Pattons gegen sich selbst gerichtete Gehässigkeit immer besser wurde:
It’s a miiidliiiife criyeyeyesis
It’s a miii-iiid-liyeyeyey …)
die Offenders und die Malice raus, erst die Platten als Ganzes, dann die Innenhüllen mit dem Vinyl drin. Er hatte mit Kuli Zeichnungen auf diese Papierumschläge gemalt, im Unterricht, wahrscheinlich sogar bei Frau Flasch, denn da saß er immer weit genug hinten, um nicht erwischt zu werden. Zeichnungen: Jenny im Halbprofil … Hammer und Sichel … noch mal Hammer und Sichel … Bandlogos: METALLICA, ANTHRAX … und erneut Hammer und Sichel. Was waren das für Symbole, wofür stand das? Wenn ich mich bloß erinnern könnte.
Philip setzte sich auf den flusigen Teppich. Er legte die Platteninnenhüllen vor sich hin wie ein altägyptischer Schreiber seine Schiefertafelstapel, und holte einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Hemdes. Erinnern mit der Hand.
Philip zeichnete:
Jeder zehnte Deutsche hat ein Tattoo, jeder zwanzigste ein Piercing, dachte Philip, das hatte ein Meinungsforschungsinstitut ermittelt, stand neulich im SPIEGEL . Menschen sind aus anderen Menschen zusammengesetzt. Man kann Gedanken nicht alleine denken: Daß man denkt, setzt schon voraus, daß man spricht, und das setzt voraus, daß andere mit einem gesprochen haben. Da das so ist, macht einem das eigene Denken Angst, wenn die Verhältnisse zwischen den Leuten nicht durchschaubar sind. Also versuchen die Denkenden, sich voneinander abzugrenzen, durch Verbesserungen, Ornamente, im unstillbaren Verlangen, ach, bitte, bitte, jemand zu sein, heiliger Marquis de Sade, bitt für uns. Es gab da einen Philosophen, von dem Robert ihm damals in Köln erzählt hatte und den Robert haßte, weil er für diese Angst stand, auf Erden wie im Himmel der bockig Untröstlichen: Fourniet oder ähnlich hieß der, hat sich für Nägel durch die Hände eingesetzt, so gut er konnte, und am Lebensende viel Gutes über Askese gesagt. Ich bin ein Jesus, man kann mich kaufen, mein Tattoo ist das Preisschild, übrigens. Mehr gibt es nicht zu sehen, geht weiter, Leute.
Alles für den Unterschied; dabei bewohnen wir alle selber den schmalsten aller Unterschiede, den zwischen einem Weg, den wir mit den Toten gehen auf der einen Seite, und einem andern, auf der Gegenseite, mit den … wie nannte Jenny das? Den Vorfahren.
Wer mit den Toten geht, dient ihnen.
Wer mit den Vorfahren geht, hilft ihnen, und wenn man Glück hat, helfen sie zurück.
Die Toten sind, was nicht mehr da ist.
Die Vorfahren sind, was wir an Reichtum haben.
Man kann also entweder für Zombies sein oder für Erinnerung, also auch für Zukunft. Für Zombies: Rechts, so haben wir das genannt. Für Erinnerung, also auch Zukunft: Links wollten wir stehen, Front wollten wir sein.
Die Wissenschaft der Tat, die unabweisliche Exaktheit des »Schon passiert«, die normative Kraft des … kategorischen … direkten … Philip zeichnete noch einmal, ein zweites unters erste Bild:
Der Dialekt, in dem man zuerst begriffen hat, was …
Die Sprache der Kategorien, gelernt aus dem Anhang eines Büchleins über Felix Klein, auf deutsch geschrieben von einem Vietnamesen, der sich Eugen Leviné nennt. Der Titel des Werkleins, bescheiden genug: »Felix Klein«. Bot eine biographische Skizze des Mannes, der die Geometrie stärker logifiziert, formalisiert und axiomatisiert hat als jeder Kopf seit Euklid, sie außerdem klassifizierte: die euklidische und die diversen nichteuklidischen, alles mit Hilfe der Gruppentheorie.
Levinés Orgel spielte Kleins Hymne, achtzig Seiten lang, mit ein paar ziemlich transzendenten Zwischentönen: So wie Klein müssen wir’s machen, steht da, jedenfalls im Prinzip, aber die Gruppentheorie trägt natürlich nur so weit, wie Klein damit gekommen ist, auch die Mengenlehre in ihren neueren Spielarten erlaubt uns noch nicht, unser seit ihrer Entstehung ja übrigens auch noch mal unvorhersehbar stark ange wachsenes mathematisches Wissen über Abbildungen (Leute bestehen aus Leuten … Leute auf Leute abbilden … wie ging das denn noch mal?) und die Dinge, die wir inzwischen aufeinander abbilden können, vollständig zu systematisieren.
Ein paar
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