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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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stattfanden, sondern oft genug ähnlich merkwürdig auch im grellen Lauten). Valerie Thiel war zu dem Zeitpunkt, als es ernst wurde, völlig klar, wo sie im Leben stand, wo sie noch hinwollte (ins Erwachsene), und wer sie war.
    Als gotische Lolita, nach dem Vorbild der verrückten kleinen Japanerinnen, oder als niedlichen, aber hochgiftigen Succubus mit langen, glatten, gefärbt rotblonden Haaren sah sie sich eher nicht. Aber just das, oder doch etwas sehr Ähnliches, wurde sie, fast ohne ihr Zutun.
    Nicht, weil das All oder ein Gott es so gewollt hätten – bloß, weil zwei ungefähr dreißigjährige oberkluge Hornochsen eines Tages in der offenen Caféteria der großen Vorhalle des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe eine mehr oder weniger perfide, erschreckend folgenreiche dumme Idee hatten. Ich weiß das genau, denn ich war einer davon.

DRITTES KAPITEL
    Fremde Körper • Schau heimwärts, Esel • Baby where I come from
    1  Es war kühl in dem Zimmer. Die Wände glänzten wie frisch gewaschene, geölte Haut.
    Zeit verging langsamer denn je. Philip nahm an, daß es gegen fünf Uhr morgens sein mußte. Er lag mit Astrid auf dem Teppich, zwischen seinen Büchern. Astrid schlief, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, der Rest von Schweiß in seinen kräuseligen Brusthaaren kühlte allmählich ab und ließ ihn frösteln. Wir brauchen keine Decke: Ihr langer, innen gefütterter, brauner und brüchiger Ledermantel bedeckte die Beine der Ruhenden. Draußen ging die Sonne auf, man sah sie aber von hier unten auf dem Boden nicht, nur die heller werdenden Wände, als ob das Zimmer zu sich kam, in Erwartung von, weiß auch nicht: Geräuschen vielleicht?
    Gitarren konnten Glockenschläge imitieren, dachte Philip. Früher war er denen am Allerliebsten auf den Leim gegangen. Schläge, solche von der Musik, als Kick, und solche von der Arbeit, die er nicht versteht, so daß er sich ein neues Denken dann mit aller Gewalt einbimsen mußte – solche Schläge hat er immer willkommen geheißen, sogar gebraucht. Ein Heavy-Metal-Fan war er geworden, weil es da solche Schläge zu holen gab.
    Schläge … erst jetzt waren Tritte und Bisse dazugekommen. Selig im Verstehen: Es ist nicht an uns, darüber zu richten, welche Vernichtungsmechanismen zwei Menschen brauchen, um sich und einander glücklich zu machen.
    Philip lächelte: Das war jetzt also das volle Leben. Ich erlebe ein Alter, das Jesus gar nicht mehr erreicht hat. Gut? Schlecht? Ganz ehrlich: einigermaßen supi.
    Andererseits: Sowas sagt man sich vor allem, weil es ja keine Geld-zurück-Option gibt.
    Man muß es nehmen, und bevor man richtig kriechen gelernt hat, wollen sie schon, daß man tanzt. Astrids Ledermantel roch gut in der Morgenkälte. Diese Frau schenkte Gerüche, die mehr mitteilten, als Duft sonst sagen kann – überall Meldestellen der magischen Körperchemie, unter den Achseln, zweieinhalb Handbreit unterm Bauchnabel, sogar ihr Mundgeruch nach dem Aufwachen war gut, das lag wahrscheinlich an den Zigarillos, die sie schmauchte. Astrid: Drachenmuschi.
    Philip sagte sich, daß er jetzt glücklich war. Erstaunlich: Das Letzte, was er, wunderte er sich, in diesem Nest zu finden gehofft hatte, war ganz sicher Glück gewesen oder auch nur etwas, das entfernt daran erinnerte.
    Vor dem Fenster, unterhalb der Kirche, in den dunklen Bäumen, fingen Vögel an zu tschirpen und zu schwatzen. Eher synästhetische Farbspritzer als Töne: Psychedelica Salsa.
    Philip spürte, daß es in seinem Bart ein bißchen juckte. Es wurde Zeit, sich zu rasieren. Sofort sehe ich ein Lustrum jünger aus, wenn ich das mache, das ist das Tolle daran, wußte Philip. Paßt zur zweiundzwanzigjährigen Geliebten, macht was her, die Engel freuen sich.
    Ich hatte ja schon ewig mit ihr auf dem Boden vögeln wollen, fiel ihm dann ein.
    Übermüdet lächelte er: Man darf doch sagen, daß es gelungen ist. Er drehte den Kopf etwas zur Seite und sah an der Couch ihre Stiefel stehen. Man könnte glauben, eine Frau, die solche Stiefel trägt, möchte beim Vögeln unbedingt kratzen, beißen, den Kerl vielleicht auch auspeitschen. Stimmt aber nicht, und soweit es doch stimmte, war’s nicht der Grund dafür, daß Philip hier lag.
    Der ehemalige Kommunist, Mathematik- und Physiklehrer war mit sich einig wie schon lang nicht mehr, so eng umschlungen mit einem Mädchen, das nichts mehr lernen konnte. Man denke: ich, einst links wie Pfeffer, dann sogar mal kurz SPD -Wähler, danach zumindest lange Zeit

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