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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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das immer noch sein, sicher aber nicht Philips. Sie hatten Wasserleitungsrohre, Base ballschläger, Fahrradketten, Schlagringe und drei Küchen- bezie hungsweise Jagdmesser dabei und waren darauf aus, die beiden Nackten mehr oder weniger totzuschlagen – ihn mehr, sie weniger. Über die ­Un­fair­ness der Zahlen-, Bewaffnungs- und Ausgeschlafenheitsverhältnisse machten diese Leute sich keinen besonderen Kopf. Um Gerechtigkeit ging es ihnen schon deshalb nicht, weil es ihnen um Rache ging, und außerdem um etwas, das in diesem hermetischen süddeutschen Nest dem entsprach, was bei bevölkerungsreicheren, größeren und besser organisierten Gebilden »Staatsraison« hätte heißen dürfen.
    Den Anführer der kleinen Truppe nannten seine Kameraden den »Dokter« – mit e zwischen t und r, nicht o. Er unterschrieb inzwischen sogar Briefe und E-Mails mit diesem Epitheton, so passend schien es ihm.
    Der Dokter hob, als die sechs Rächer am Gartenzaun angekommen waren, die lederbehandschuhte Rechte und ging sehr langsam in die Knie. »Jetzt schaut euch das an«, sagte er ganz leise, dicht an der Flüstergrenze.
    Die Herren Bernd und Schorsch, die ihm am nächsten standen, folgten seinem Beispiel, um von da unten besser erkennen zu können, was er zwischen den Drahtrauten des Zäunchens Faszinierendes erblickt hatte.
    Hatte der linke Sozialarsch – so sahen diese Herren Philip – etwa ein Frühwarn- oder sonstiges Meldesystem vor seinem Haus angebracht? Gab’s da Minen, oder baute das Hippieschwein etwa, keine drei Meter vom öffentlichen Kiesweg entfernt, irgendwelche Drogen an?
    Bernd, der leicht kurzsichtig war, kniff die Augen zusammen: »Was isch, Dokter?«
    »Ein Hase. Ein Herbsthase. Da, schau, er frisst dem roten Sauhund den Salat weg!«
    Das leise Kichern, das die Schultern des Dokters ein wenig beben ließ, war echt: Die Komik des Befunds, daß der Dieb, der ihnen Astrid wegnehmen wollte, selber einen vernunftlosen Dieb auf seinem Anwesen leiden mußte, von dem er nichts wußte, sprach den kultivierten Kopf des Dokters an.
    Wie die meisten Autodidakten war er empfänglich für inkongruente Winzigwahrnehmung am Rande des momentanen Wirklichkeitsausschnitts. Der Dokter hustete leise.
    Komik, keine schlechte Stimmungsergänzung in diesem Moment, denn eigentlich war das hier alles bloß schade. Bedauerlich zum Beispiel, daß es keine Möglichkeit gab, sich mit Philip zu verständigen. Am Anfang, vor Monaten, hatte es so ausgesehen, als ob sie beide eigentlich ganz ähnliche ordnungspolitische Vorstellungen fürs Städtchen hatten: Die Drogenhändler mochte der Fremde, der eigentlich Heimkehrer war, nicht mehr als der Dokter und seine Getreuen, und die Punks, na ja, die mußte er zumindest sauber schrubben, wenn er seine Arbeit hier ordentlich tun wollte. Aber dann lief der Erweckungsplan an, danach passierte die Scheiße mit dem Brikettchen, und gleichzeitig der Schlamassel mit Astrid. Fronten hatten sich gebildet, das Leben ist schwer, das Leben bleibt schwer, mein Baby war beim Frisör. »Und jetzt müssen wir die neue Front begradigen, Kinder«, seufzte der Dokter. Dann spuckte er vor dem Zaun auf den Boden und schnellte auf äußerst elastischen Beinmuskeln in die Höhe.
    »O.k. Dann wollen wir mal.«
    Er faßte in seine rechte Manteltasche, wo der Schlagring ruhte, und schritt energisch zwischen den zwei drahtumzäunten Gartenflügeln auf die Haustür aus dunkler Kastanie zu.
    2  Der Liebe wegen war Philip bestimmt nicht zurückgekommen, sondern um sich zu verkriechen, vor der Normalität, in die Gefahr. Die Gefahr war zwar kein Ort, an dem man sich üblicherweise verkroch; soviel war ihm klar gewesen, aller sonstigen Verwirrung ungeachtet. Wenn man allerdings, wie er, soeben moralisch gestorben war, kam einem Gefahr ganz geräumig vor. Irgendwo wollte der eigene Leichnam eben abgestellt sein.
    Philip Klatts Ehe war gescheitert – so, hatte er lernen müssen, sagte man vornehm für einen Sack voller öliger, stinkender, beschämender Sachverhalte. Philips Frau Michaela, Lehrerin wie er, am selben Gymnasium in Stuttgart, schlief seit anderthalb Jahren lieber beim Direktor als bei Philip, das war der erste beschämende Sachverhalt. Deshalb zur Rede gestellt, begründete Michaela ihre Untreue damit, daß der Direktor erstens einfühlsam und zweitens daher gut für sie sei, Philip dagegen aber drittens »völlig verrückt«.
    Daß diese Einschätzung in allen drei Punkten durchaus stimmte, war der zweite

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