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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Baum: »Schesaff« oder so ähnlich.
    Sie schmecken sauer, ich bin erleichtert, weiß nicht mal, warum.

Fünfhundertsiebter Tag
    Wieder zuhause, wenn ich ihm glauben darf.
    Sie haben heute angefangen, ihm den ewig schon diskutierten Keller auszuheben, neben dem großen Zelt, lange schwere Container sind nämlich für ihn gekommen, mit italienischer Aufschrift: »Bandiera Rossa Milano«. Das Zeug da drin will er »unter der Erde kühl lagern«, wie er sagt. Die Bagger stehen auf der Matschauffahrt, wo es zur Landebahn geht. Gestern nacht hörte ich von weiter westlich, wo der Fluß ist, zum wiederholten Mal Schüsse. Sind wir nah der Front zuhause? Gefällt es ihm deshalb, hier sein Basislager einzurichten?

Fünfhundertelfter Tag
    Es behagt mir nicht, daß, wenn ich alles recht begriffen habe, aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwo da draußen Valerie rumrennt und jetzt nicht nur sie selbst, sondern außerdem ich ist.
    Schon weil es mich dann zweimal gibt: In »Back to the Future II« warnt der irre Wissenschaftler den armen Marty McFly, daß er seinem zukünftigen Selbst auch auf keinen Fall begegnen dürfe, it could destroy the universe. »Keine Sorge, Herr Golem«, wiegelt der Chef ab. »Schließlich kennen Sie das schon lange: Ein Mensch ist mehrere Menschen. Also warum sollen nicht umgekehrt mehrere Menschen, zum Beispiel Valerie Thiel und Sie, der eine Mensch namens Robert Rolf sein?«
    Heute nacht keine Schüsse.

Fünfhundertachtzehnter Tag
    Liz aus dem Kibbuz ist Hermann-Broch-Fan, wir reden über die »Schlafwandler« und den »Vergil«, die ich beide noch leidlich präsent habe, liegen unterm Baum vor der Speisehalle. Yakovs Freundin, eine Künstlerin, krault einen Hund, raucht dabei, die Hocke, in die sie sich niederläßt, sieht sehr damenhaft aus. Traktoren, die langsam verrosten. Die Hauptdurchgangsstraße wird nicht mehr gekehrt. Wir sind heute aus demselben Grund hier wie häufig: Er bringt ihnen Waffen. Das Wetterkreuz ächzt, knirscht.
    Die Sachen verfallen. Ich kenne das, ich habe so etwas schon einmal gesehen, als junger Mann, im realexistierenden Sozialismus, auf Besuch. Liz sagt: »Auch die Christen reden jetzt vom Erlöser, sie nennen ihn ›den Kapuziner‹.« War das nicht ein Wein oder ein Schnaps oder so was, Kapuziner? Und ein Kaffee natürlich. Liz hat einen Freund namens Evrem, der schließt sich uns an, fliegt mit zurück zum Camp, wohnt jetzt hier. Glatzkopf, sehr smart.

Fünfhunderteinundneunzigster Tag
    »Es ist der Banyas, wissen Sie«, klärt er mich auf, als ich mich in den Schatten setze, am Fluß, und die Hand baumeln lasse, ins Wasser lege, mit den Fingern Wasserfurchen ziehe.
    »Einer der Quellflüsse des Jordan.«
    »Hmmpf«, mache ich unbestimmt.
    »Was gefällt Ihnen nicht?«
    »Daß ich ein Golem bin, und nicht mal weiß, was das ist.«
    Er geht langsam in die Knie, hält sich an seinem Gehstock fest. Der Palästinenserfeudel auf dem Kopf steht ihm, er hat sowieso etwas von einer Figur aus einem dieser Wüstenepen, Lawrence von Zombiestan.
    »Sie sollten wirklich die Sprache lernen.«
    »Hebräisch?«
    »Iwrit. Das Neuhebräische, das hier gesprochen wird. Nicht die Sprache der Bibel, wissen Sie, das wäre Hebräisch.«
    »Erfahre ich dann was über den Golem?«
    Er winkt ab, hat schwere Ringe an den Fingern. »Pff, Golem. Das können Sie bei Gustav Meyrink nachlesen, wenn Sie müssen. Alle dreiunddreißig Jahre sieht man ihn am Fenster. In Prag, im Ghetto. Dreiunddreißig: So alt war Jesus, als er gekreuzigt wurde, bemerkt Gerschom Scholem.«
    »Srinivasa Ramanujan wurde auch nicht älter«, maule ich, und er nickt: »Ja, Ihr erstes Buch, nicht? Das mit den Hunden. Da kommt er vor, als Quasi-Jesus.«
    Ich bin beschämt, daß er das Ding kennt, ist schließlich megaobskur.
    »Jakob Grimm erwähnt einen Golem mit dem Schriftzug ›emeth‹ auf der Stirn, das heißt: Wahrheit, und als die Juden Angst kriegen, streichen sie den ersten Buchstaben, und da heißt es nur mehr meth – er ist tot.«
    »Nicht Iwrit, hm?«
    »Nein, das ist richtiges Hebräisch.«
    »Sind das – ist das die Bedeutung der Glyphen auf meinem Körper- und Gesichtspapier?«
    »Gottesgelehrsamkeit wird Sie nicht weiterbringen, mein Freund.«
    Er steht auf, wendet sich ab, geht ins Gebüsch, wo Arbeiter buddeln und Leitungen legen.

Sechshundertvierundzwanzigster Tag
    Es ist immer noch sehr warm, wird aber langsam Abend. Die Flügel der Abdeckung sind zurückgeschlagen, hängen an den Pfosten aus

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