Für immer in Honig
raten, weshalb. Drehe mich aber um: Das Camp ist schon zu weit weg, als daß ich in dieser Hitze – das mit Tee aus der Flasche naßgemachte Taschentuch liegt seit fünf Minuten auf meinem Kopf – Lust hätte, zu Fuß dahin zurückzugehen.
Nicht sehr wahrscheinlich, daß er mich hier aus dem Wagen schmeißt und die Strecke latschen läßt, aber es fällt mir trotzdem ein, denn Skriba hat am Anfang gelegentlich solche Sachen mit mir gemacht. Das Papier in mir knistert, das an meinem fehlenden Ohr knattert sogar richtig, wie eine Fahne, im geradlinigen Fahrtwind.
Der Amerikaner schaltet Musik ein, sie liegt in der Stille wie ein furchtsamer Winzling auf der Handfläche Gottes. Alte Speaker hinter mir, der Ton bescheiden stereo: Ab und zu mal ein winziger Gitarrenlauf, nur auf einem der Kanäle, oder die Stimme widerspricht sich; es ist eine Frau, der Text ist englisch, aber so krachig verfuzzt, daß ich außer »Hey« und »Oooh« und einmal »Be free« nix verstehe, die Melodie aber schlängelt so arabisch wie einiges von Led Zeppelin, das war ja Mode in einer der älteren RockSchichten, dieses Orientalische, Streicher kommen auch gern dazu.
Es soll wohl herzweitend sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob das, was in meiner Brust pumpt, ein richtiges Herz ist, fähig zu Hoffnung und Aufbruch. Jeden Morgen warte ich in der Kälte auf die große Sonne, weil ich so wenig schlafe. Vielleicht kommt sie eines Tages nicht mehr; vielleicht reißt dann das Papier, mit dem ich gestopft, geflickt worden bin; vielleicht regnet es mal, wie in der Nacht, in der ich starb, dann saugt das Pergament die Glyphen auf, der Bann ist gebrochen, das in der Sonne des heiligen Landes gedörrte Fleisch zerfällt, und die liebe Seele?
Der kleine dunkle Streifen ist ein Wald, und zwar ein normierter, ganz angepaßter.
Palmen nämlich sah ich plötzlich, die in Reihen standen wie römische Legionen im Asterix-Heftchen: Schwirrte von ganz leiser Komik, der Anblick, auf den wir zurasten über das gelbe Geröll, die endlose Fläche, als hinter uns die Basis zusammenschnurrte zu einem abgepackten Dominospiel. Palmen, wahrlich, und diese strenge Ordnung nach Reihen, das ging mir konträr, das wollte in meinem Kopf nicht zusammen.
»Oase« kann man diese DIN -Bepflanzung jedenfalls nicht nennen, müßte wilder wuchern, buschiger aus dem Sand geschlagen, grüner in die Gegend geschossen. Der Jeep hält an, John / Jerry dreht die Musik ab. Er öffnet die Tür und rutscht lässig vom Sitz, geht vorn um den Wagen und stellt sich, habacht, vor die Motorhaube, das Gesicht der etwa drei Fußballstadienlängen von uns entfernten Palmenshow zugewandt. Ein ins blendend Helle der Welt reingeblockter Palmenbalken – ich blinzle, steige auch aus, meine Schritte: Die klingen nicht gut, viel zu leise, viel zu ausgetrocknet, und dann erinnern mich die Palmenreihen an was, das sehr lange her ist: Es gab da so ein Winzwäldchen, im äußersten Südosten der kleinen Stadt, neben einem ganz schmalen Fahrradweg, wo höchstens zwei Räder gefahrlos aneinander vorbeikamen – den Weg bin ich manchmal gefahren, weil da unten, per kleiner Zufahrt an die Landstraße angebunden, das Dental-Labor stand, wo meine Mutter gearbeitet hat, bis ich fünfzehn, sechzehn war. Selbst im Sommer habe ich mich nach vorn gelegt und die Pedale schneller getreten, sobald ich zu diesem Wäldchen kam, und Angst hatte ich immer – wovor? Der Wald war genauso scharf umgrenzt wie die Palmenlegion dort in der Wüste, ein Rechteck sein Grundriß, auf saftig grüner Wiese, und dieses extrem Geplante, Angelegte, stand so schief und scheußlich auf der Unordnung des Unterholzes, auf den Regungen nahe den Wurzeln, dem Bewegten, das so ein Wald ganz unten und ganz oben, in den Baumkronen, immer hat, daß ich mehr körperlich spürte als wirklich dachte, das Rechteck müsse ein Bann sein, irgendwas Gräßliches wäre in diesen Wald eingesperrt, und wer zu nah dran vorbeiging oder -radelte, den konnte es greifen und reinziehen und zerreißen, beißen.
»See the movement?« sagt der Amerikaner, und hört sich an, als spräche er von viel weiter weg als die drei Hände breit zwischen ihm und mir.
Ich verstehe jetzt, warum Skriba mir die Wüste zeigen lassen wollte: Das, wo wir lagern, ist keine Wüste, da sind Gerüche und Geräusche und Verrichtungen, da wird gekocht, gespielt, diskutiert, exerziert, Gerät repariert, Musik gemacht. Hier aber sprechen und schauen und denken wir ins Leere. Nirgends
Weitere Kostenlose Bücher