Für immer in Honig
Wie du und deine Gippies das genannt haben … die sind also …
J: Es sind keine Geschichten, Freddy. Es sind Berichte.
F: Ja, schon recht. Aber was ich daraus jedenfalls lernen soll, ist: Wo es Rauch gibt, gibt es auch Feuer.
J: Genau. Such den Bokor. Das Wort kommt von »Bokono«, Priester, aber auf Haiti bezeichnet es jemanden, der schwarze Magie als Geschäft betreibt.
F: Man muß also, wenn man verstehen will, was los ist, den Bokor suchen. Oder … oder vielleicht gibt es mehrere? Ich mein’, es passiert ja überall auf der Welt, oder … es muß mehrere geben, mehrere Zombiemeister, stimmt’s?
J: Das ist die Frage. Das ist genau die Frage, Freddy.
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Schlechten guten Morgen • Aus dem Haus
1 Die Kollaborateurin erwachte aus einem überhitzten Traum.
»Auf nach wie vor unerforschtem Weg«: Woher hatte sie das? Ein Rest von Nacht, zerlaufen und fade.
Große Flocken nasser Asche fielen von ihrem zermürbten Gemüt ab; sie spürte Gelenkschmerzen und Adernpochen. Licht aus den Wohnungen gegenüber wackelte falsch eingestellt im Fenster. Wie gern wäre sie draußen, oben, bei denen, die sich in Sicherheit gebracht hatten. Immer schon: Gibt es ein Oben, dann wäre ich da am liebsten, denn mich ekelt vor denen, die nach unten absinken, und ich habe Angst, auch so eine zu sein. Sie verwünschte ihr kaltes Zimmer, schlug mit der Hand auf die mu ffi ge Matratze, dicht überm Boden: Da drin habe ich wirklich geschlafen, nicht im erdwarmen Traumbett rund ums Traumspektakel.
Die Heizung klapperte, heizte aber kaum. Die Kollaborateurin hatte im Traum die geborstene Kuppel des Reichstags gesehen, wie damals in Wirklichkeit vom Stadtbahnhof aus, grimmig rauchend und schwelend. Die Marodeure hatten da drin alles angezündet, mit, wie man ihr später sagte, echtem Flugzeugtreibstoff; ein chemisch perfektes Fegefeuer, die Treppen waren ohne Rückstand verbrannt, Tausende von Celsiusgraden – zurück in diesen Flammentanz hatte der Traum sie gezerrt, und die Distanz zwischen Flamme und Flamme war fünfhundert Jahre, das wußte der Traum, woher, wurde nicht mitgeteilt. Ein Engel goß aus einer Schale noch mehr Flugbenzin ins Toben, ein Cherub, dessen Augen so weit auseinanderstanden, daß man eine Reise von siebzigtausend Tagen unternehmen mußte, um vom einen zum andern zu gelangen, und bei ihm wachte ein anderer, der siebzig Gesichter hatte, mit siebzig Zungen, die siebzig Lieder sangen, die aber sämtlich dasselbe waren, nur mit je andern Melodien, aber dem immergleichen Refrain:
Wenn ich ein
Wenn ich ein
Wenn ich ein
Zombie wär
Die Kollaborateurin rieb sich mit der rauhen Hand den rasierten Schädel und kletterte aus ihrer Pyjamahose. Das Heizungsklopfen ging vom mäusetrippelnden Shuffle- zum gemächlicheren Reggaetempo über. Eine Enttäuschung quoll in ihr auf wie Teig: Spektakuläres aus der dummen Geschichte, die mit der Welt passiert war, herausmelken, das kann ich, das träum’ ich. Mehr ist nicht.
Wir haben viel davon gesehen, vom Spektakel, sagte sie ihrem Spiegelbild in der dreieckigen Scherbe am Kleiderschrank: Kriegsrecht, Notstand, Ausgangssperre, flankierende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aller Art, abgeriegelte Straßen, SEK s in einem Einsatz ohne Ende, Nahrungsmittelrationierung, gepanzerte Wachen vor den großen Einkaufszentren, kurzzeitige Komplettgleichschaltung von Kommunikation (Handyabgabe, Lauschangriff) und Verkehr (Taxis, von der Bundeswehr requiriert).
Es hatte alles nichts genützt. Die Staatsgewalt wurde mit den Toten nicht fertig, und so blieb ihr nur der Versuch, die Lebendigen zu disziplinieren, während hinter dem Rücken des Souveräns die Wiedergänger die Stadt übernahmen.
Die Hi-Tech-Trupps der Inneren Sicherheit bekämpften also nicht die Wehrmacht, die sich aus dem Boden buddelte, nicht die Rote Armee, die sich mit ihr verbrüderte, auf der Grundlage gemeinsamen langen Totgewesenseins, sondern die Riots in Kreuzberg und im Mauerpark, zerschlugen die armselig bewaffneten Camps im Tiergarten und am Zoo, in denen sich Leute, die ihre Häuser verlassen hatten, weil Fallen draus geworden waren, der Geländeübersicht wegen verschanzt hatten.
Feuer. Plünderungen.
Dawn of the Dead in den Schönhauser-Allee-Arkaden, ein Tableau wie aus einem dieser machokitschigen Apokalypseromane der Jahrtausendwende: Jetzt hingen die Leute wirklich von den Geländern vor den Eisdielen; eine letzte Feiertagsdekoration, bevor der neue Alltag
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