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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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es ist so langweilig wie alles andere.«
    Die jungen Frauen schauten nach wie vor ganz offen her, schwatzten dabei und lachten.
    Es war Robert Rolf angenehm, über Sexualverkrampfungen zu dozieren, während er diese Orangenlippenstift-Münder lächeln sah, diese Brustbetonungs-T-Shirts anstarrte, sich über diese sauberen Gesichter freute.
    Er war auf dem Weg in die Hölle, aus Überdruß an seinem Beruf, der ein Verrat an den Absichten seiner Jugend war, und wußte es, das war der Spaß dran, gar nicht. Er hatte, kurz gesagt, einen miesen Tag erwischt, um sich auf etwas einzulassen, daß ihn für immer verändern mußte, aber in diesem Augenblick war ihm das alles andere als klar, schließlich hielt er gerade im Gespräch Einsichten hoch über den Schlamm der Gegenwart, die zwar als solche, als Wahrheiten in seinem Kopf, für sein Verhalten überhaupt keine Konsequenzen hatten, aber eben deshalb, nämlich weil sie ihn davor bewahrten, mit dem Unsinn, den er lebte, ernstlich aufräumen zu müssen, in all ihrer Wahrheit falsches Bewußtsein bedeuteten: tödlich richtige Selbstberuhigung.
    Kurz davor, diese Wahrheiten anschauen zu müssen, wagte Robert die Flucht zur Seite: »Es gibt da jetzt so’n Buch, weißt du. Ich rezensiere das gerade für unser Blatt. Der Autor ist ein amerikanischer Soziohistoriker, nennt sich Thomas W. Laqueur, seine Schwarte hat zig hundert Seiten und heißt ›Solitary Sex: A Cultural History of Masturbation‹. Wenn man das liest, ach du lieber mein Vater: Da steht man mitten in Dieter-Fuchs-Land. Drastisches Um-den-Brei-Herumreden mit besten Absichten als der neue Extremsport. Du fühlst dich dauernd an Epochen erinnert, in denen sich manche Sachen gefahrlos überhaupt nur auf lateinisch sagen ließen: ›a tergo‹, ›cunnilingus‹ und so. Aber ganz anders. Das heißt nämlich nicht, daß der Typ in Mönchssprache schreibt, sondern es gibt halt einen postmodernen Ersatz für diese universale Lingua franca der distanzierten Gelehrten, einen Slang, der es heute als einziges Ausdrucksmittel erlaubt, von Sachen zu schreiben und zu reden, die sich nicht dem Sozialverträglichen beugen, das hinter dem ganzen Wilder-Heini-Gequake der Diskursanarchisten lauert, etwa so, wie sich junge Leute die Hörner abstoßen sollen, um am Ende dann ganz normale Arschlöcher zu werden, wie die ganzen Riskant-Philosophen ja auch alle brave Professoren sind.«
    »Hömm?«
    »Na, du darfst den asozialsten crazy shit reden und schreiben, über Kannibalismus, Wichsen, whatever, so lange dein Stil versichert, daß du niemals wagen würdest, aus den Sprachregelungen der o ffizi ellen Wirrmacherei auszuscheren. Geschraubte Scheißhausparolen, verbindlich wie das Paternoster, das ist die Parallele zum Mönchslatein. Für Nietzsche, der ja keinen Lehrstuhl für solche Einsichten bekam, war der verächtliche Schuß Angepaßtheit, der die rebellischen Zeitgenossen als Mitläufer kenntlich machte, noch das gute alte ›Moralin‹, von dem er die Sachen durchsäuert fand, die diese Typen geschrieben haben, ob Sozialisten, ob Christen, ob Antisemiten. Immer dieselbe Heuchelei des rebellisch Unfrommen, der heimlich ganz lammfromm ist.
    Aber heutzutage gibt es als Entsprechung was viel Schlimmeres, das ›Sozialin‹: Es muß immer alles gesellschaftlich relevant, gesellschaftlich erzeugt, gesellschaftlich konstruiert und vermittelt sein, damit dann erstaunlicherweise nichts weiter draus folgt, als daß man rumzickt, wäh­rend man alles so läßt, wie es ist. Dieses posthum auf deutsch erschienene Buch von Foucault heißt ja auch so, sehr sprechend, wie auch immer es ›gemeint‹ ist: ›Verteidigung der Gesellschaft‹.«
    »Sorry«, lächelte Beer maliziös. »Jetzt hast du mich abgehängt. Wir waren bei ’nem Wichsbuch, oder?«
    »Ja, das wäre eben das Beispiel, an dem ich … Schau: Das Wichsbuch ist randvoll mit Sozialin, und das dazu passende, wie hab’ ich’s genannt … das dazu passende Latein ist eine von scheinaufrührerischen Gallizismen durchgiftete Sprache, die vor allem … andauernd … von diesen verdammten ›Diskursen‹ redet. Der Typ schreibt da also seine Sittengeschichte der Masturbation ganz nach Vorschrift als reine Textchronik runter, folgt superstreberhaft ohne eine einzige Ausnahme im ganzen riesigen Wälzer der ersten Grammatikregel des Diskurslateinischen: Die Praktiken, um die es geht, also bei ihm die der Onanie, sind immer, ausnahmslos, von irgendwelchen klassischen Texten, die sie

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