Für immer in Honig
Lenin, aber das liegt am Anarchismus, nicht an Foucault. Wenn’s nicht geht, dann geht es nicht.«
»Denkst du an wen Bestimmten, wenn du sagst: die Zuständigen?«
»Nicht unbedingt«, log Robert. Eine flammend rothaarige Kunststudentin in ganz kleinem T-Shirt, die eben am Tisch der beiden vorbeiging, bezog sein Zwinkern auf sich. Ohne daß irgendwer, sie selbst vermutlich inklusive, hätte deuten können, was mit dieser ihrer Antwortgeste möglicherweise gemeint war, wackelte sie (aufreizend? spöttisch? absurd?) mit den beiden Colaflaschen, die sie an den Hälsen in beiden Händen trug. Es entstand ein angemessen peinlicher Moment, bis Robert Rolf kapitulierend den Kopf schüttelte und sie lachte.
»Na gut. Also, ich denke an unseren gemeinsamen Freund Fuchs.«
Beer nickte ernst. Das war jetzt keine gelassene Erörterung des intellektuellen Übels mehr. Hier wurde es persönlich. Aber konnte die Unterhaltung nicht dennoch gutartig bleiben, wenn man allzu bequemes Lästern bleiben ließ und beim Reden über Abwesende mitbedachte, daß die ein Recht auf eine faire Klatschverhandlung hatten? Dieter Fuchs, gute zehn Jahre älter als der Musiker und der Journalist, gehörte innerhalb der ihnen beiden so wohlbekannten Kölner Pop-, Kunst- und Debatten-Westentaschenavantgarde zu den Leuten, über die sich Beer und Rolf mit Vorliebe unterhielten, wenn sie mal zusammenkamen.
Erstens nämlich wurde das Gespräch, wenn’s von Fuchs handelte, nicht allzu gallig, einfach weil der ein netter Kerl war, dessen Integrität als Kunstkritiker, zeitweiliger Redakteur von Spock und linker Intellektueller außer Zweifel stand. Zweitens aber bot er, abstrakt als Thema betrachtet, also als Angeklagter, trotz solcher Vorzüge noch genügend Handhaben, sich über all das zu verständigen, was es an der eigenen Szene kritisch zu zergliedern, zu ironisieren und sogar zu bejammern gab.
»Ja, der hat es öfter mit dem Transgressiven, nicht? Und zugleich mit dem Korrekten. Wie bringt er das eigentlich zusammen, dein Fuchs?« fragte Beer gelinde stichelnd.
Er wußte nämlich, daß Rolf und Fuchs in engerem Kontakt standen als Fuchs und er selbst.
»Was jetzt wie genau?«
»Na, daß er so gegen Sexismus und Rassismus und den ganzen Dreck ist, und andererseits immer zu haben für Performances, bei denen Leute sich auf dem Boden im eigenen Sperma wälzen, oder Platten, auf denen aufgebrachte Schwarze aus Amerika schildern, wie sie ihre untreuen Lebensabschnittsgefährtinnen abknallen, schlachten, häuten und essen?«
»Ja, wie bringt er … weiß auch nicht … pfft.«
Robert Rolf blies eine kleine wortlose Ausrede aus Zigarettenrauch durch die Nase. Als jedoch Beer ihn eine weitere Minute lang direkt ansah, mutmaßte er seufzend: »Ich nehme an, die Transgression ist das Theoretische, sozusagen das Reich Gottes und Foucault-Nietzsches, während das konkrete menschliche Zusammenleben von Anstand und rühmlicher Gesittung reglementiert zu sein hat. Mit viel Mutter Theresa drin. Oder so.«
»Oder so«, prostete der Musiker dem Journalisten zu.
Ein unverschämtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, das sagen sollte: Ich bin ein Künstler und kann es mir daher leisten, den Unterschied zwischen individuell freiheitlicher Theorie und konkretem menschlichem Zusammenleben gar nicht erst kapieren zu wollen.
Die rothaarige Studentin hatte sich auf einen Platz ganz in der Nähe gesetzt, weitere junge Frauen in Babydoll-Mini-T-Shirts, Jeans oder Wickelröcken und knöchelhohen Stiefeletten, welche mehr oder weniger erfolgreich auf ihre Waden aufmerksam machen sollten, gesellten sich aus verschiedenen Richtungen zu ihr und schauten bald interessiert zum schönen Techno-Musiker und seinem unauffälligeren journalistischen Begleiter herüber.
Rolf, in seiner alten Jeansjacke und der weiten Hose mit den militärisch breiten Taschen dran, fühlte sich gemütlich inadäquat unter diesen Blicken. Fast hätte er nicht mitgekriegt, daß Michael Beer als nächstes etwas wirklich Riskantes sagte: »Ist also der brave Dieter Fuchs so etwas wie ein Wichser?«
2 Rolf hustete, wandte den Blick von den Mädchen und wand sich: »Ach, na ja, Wichser … das hat ja als Beleidigung auch nicht mehr die Unschuld, die es mal hatte. Das letzte dunkle Eckchen war damit gemeint – das einzige sexuelle Laster, das man nicht dauernd irgendwo präsentiert bekommt, und zur Nachahmung empfohlen, aber mit Schildchen dran: Macht nur, ihr werdet sehen,
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