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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gewesen waren, nicht Größenwahn, ein künstliches Ende der neuen Ordnung herbeiführen zu wollen?
    Mal ganz abgesehen davon, daß Judith der Sound der Résistancepropaganda einfach nicht gefiel. Dieses Martialische, Aufgeplusterte, an ihren Ex erinnernde, diese Heiner-Müller-Zitate immer: »Unser Kampf hat erst angefangen, und wir haben einen langen Weg vor uns. Wir werden ihn auf unsern Füßen nicht zu Ende gehen, aber die Erde wird allerhand Blut saufen, eh wir das Ziel wenigstens aus der Ferne sehn. Die einen werden ersaufen im Blut der andern, und wir haben nur eine Gewißheit: Wir haben mehr Blut.«
    Das war nicht erwachsener, als wenn sie Funpunk-Textzeilen draufgedruckt hätten:
    Ob Neunmillimeter oder Maschinengewehr
Schieß doch einfach n paar Magazine leer
    Judith schloß die Augen, denn die taten ihr weh. Wenn sie mal eben ausblendete, was die beiden Großwetteranalytiker da brabbelten, hörte sie eine Art Stimme, oder las eine Art Text, oder hatte eine Art Gefühl, die sie nicht haben wollte: Etwas läuft furchtbar falsch, auch wenn die Flugblätter dagegen selber blöd sind, nur was ist es, etwas stimmt vielleicht ja nicht mit unser aller Augen, wir sehen die Dinge jedenfalls anders als früher, und der liebe Gott weiß bestimmt: Wir sehen sie anders als er.
    Weil das keine angenehmen Empfindungen (Halluzinationen?) waren, öffnete sie die Augen dann doch wieder und sah, wie sie da so in der langen Schlange an der Wand stand, in der Mitte der Halle freistehend die auf beiden Seiten gleich bedruckte imposante Tafel, die für das einzige konstruktive Unternehmen warb, zu dem sich die neuen Herren der Stadt je verpflichtet hatten: » DER TEMPEL DER ERDE , Voraussichtl. Fertigstellung März 2103«. So weit weg war das nun nicht mehr, und also kaum realistisch, als Richtfesttermin, wie Judith aus eigener Anschauung wußte. Das einzige nämlich, was bis jetzt fertig war, sah auf diesem Schild nicht besonders prominent aus: der Wassergraben und der »Kreis auf Quadrat«-Grundriß des Ganzen, in der Realität ein großes Betonbecken, in welchem vier Meter tief schmutziges Wasser stand.
    Judith runzelte die Stirn beim Anblick der stilisierten Bäume des »heiligen Hains«, der das Ding umgrünen sollte – davon war noch kein einziges mickriges Bäumchen gepflanzt. Gibt es eigentlich Zombies mit grünem Daumen? Abgesehen vom Schimmelpilz?
    Die Anlage, wie sie die computergenerierte Frontalansicht und die dazugehörige Grundriß-Draufsicht dieser Tafel vorstellte, war ein bedrückender Bau: Von der schiefen Ebene, die zu den vier Säulen am Eingang führte, über denen ein riesiges, insektenäugig in Zellen unterteiltes rotes Buntglasfenster den Planeten darstellte, auf dem die » TAT « als ­runi­former Schriftzug alles zusammenhielt, über die »Säle« in den Ecken des Hauptquadrats (Südosten: Saal des Ehrgeizes, laut Aufschrift in gelbgrünes Licht getaucht, Südwesten: Saal der Lust, oranges Licht, Nordwesten: Saal der Sehnsucht, violettes Licht, Nordosten: Saal der Liebe, blaugrünes Licht) und die sie verbindenden »Hallen« (zwischen Ehrgeiz und Liebe: die von den Pilgern sarglängs zu durchmessende Halle des Willens, nach dem Plan »vorwiegend« von grünem Licht erfüllt, zwischen Lust und Sehnsucht die Halle der Gefühle, rotes Licht) bis zu den mittig unter weißem Oberlicht angeordneten Umgängen um einen künstlichen Teich, genannt »die Wasser«, darin ein »Bild des Herrn der Erde« zu sehen war, ergab alles ein Lehrbuchbeispiel kaltherzigster Einschüchterungsarchitektur.
    Judith fand es nicht schwierig, Kneipenschwadroneuren Glauben zu schenken, die aus all dem ableiteten, der »Herr der Erde« könne wohl nur ein gewaltiges Hitlerstandbild oder was ähnlich Erbauliches sein.
    Nördlich der Statue, was immer sie darstellen würde, verhieß der dritte, der querstehende sargartige Durchgang nichts Gutes. Schon der Name war faul: Halle der Ergebung, »vorwiegend blaues Licht«, Markierung der Kopfseite gegenüber dem Eingang, zu dessen linker Seite ein nicht genauer benanntes »weibliches Bild«, zu dessen rechter ein passendes »männliches« einstimmen sollte auf – ja, was denn?
    Auf den Durchgang, vorbei an den Wassern und dem Erdherrn, zur Ergebung und dem runden Kronaufsatz derselben: einer verrammelten Schwelle, an die sich laut Karte die »Kammer des Schweigens« und rechts und links von dieser je eine Kapelle anschlossen.
    Auf sie folgte »das Dunkle«; das endlich führte zum

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