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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Steg. Wo bist du, ach was, wichtiger, wo wer bin denn ich egal.
    Sein Magen war ganz leer, die Nacht warm und zu feucht, die Vorhänge waren weiß und durchschimmernd wie Gazebinden, die er im Krankenhaus damals hatte aufrollen müssen, Neurologie, Station Hoffmann. Da habe ich Jenny das letzte Mal gesehen, stimmt, und wir haben geredet wie immer, in diesem Singsang aus Dialekt und militantem Hochdeutsch, eine Kunstsprache, schöner und wehmütiger als jeder Celan:
    »Nach Norden.«
    »Wieso nach Norden, was willsch denn da?«
    »Rumfahren, eine Weile. Hab bißchen Geld geerbt, komm dann wieder nach Süddeutschland, aber weisch … was gibt’s im Schtädtle no für mich, außer meiner Mutter und so paar Neonazis? Ich nehm’s euch nicht übel, daß ihr weggezogen seid, nach Freiburg und Stuttgart und sonschtwohin. Aber ich muß auch sehen, wo i bleib.«
    »Und die Politik, die die, na die GPI ?«
    »Siehsch, es fällt dir schon schwer, dich zu erinnern, wie die Partei heißt. Bald wirsch’s ganz vergessen.«
    »Niemals.«
    Doch, dachte Robert jetzt, und hatte Hunger, und mußte auf’s Klo, aber nicht wirklich »Den Trick kenne ich«, schimpfte er wider den Körper – Reizdarm, Colon irritabile. Hatten sie damals nach der Zivizeit bei ihm diagnostiziert, da hatte er gerade sein erstes Büchlein fertig gehabt, und fest geglaubt, er hätte »Krebskrämpfe«, ein erfundenes Wort, das beschreiben sollte, was seiner absurd phantastischen Meinung zur Sache nach »als allererstes« mit Darmtumorkranken passiert. Schöne Zeit der blühenden Angstwahnvorstellungen und freien ­Schreckens­phantasien: Jugend ist, solange man für so was noch nicht zu beschäftigt ist.
    Robert hustete und öffnete ein Porzellanschälchen am Spiegel. Es waren Bonbons drin, das wußte er noch von vor dem Schlafengehen. Das Bonbon, das er rausnahm und sich in den Mund steckte, grün und murmelrund, schmeckte nach Minze und Zucker, von beidem zuviel.
    Robert hatte vergessen, wo er seine Militäruhr hingelegt hatte. Das ganze Zimmer war voller Zeug: Bücher Socken Stiefel Zeitschriften Kugelschreiber Papierfetzen mit Notizen drauf Taschentücher Unterhemd Angst Hemd Hose Hut Zukunft Jacke Traum Koffer Erinnerung Handy.
    Spiegelgesicht: Die Papierstellen waren sehr hell, im Mondlicht, aber nicht ungesund, mehr ausgeschlafen, anders als der dunkle Rest Menschenfleisch drum herum. Robert fand sich schwer, die Schultern waren nach vorn gesunken, das Becken wie aus Blei, aber aufs feiste Weißbett wollte er sich nicht mehr legen: zu hoch, zu weich, es lagen zu viele blaue Schatten aus Batman-Comics drauf, bin ich denn in Gotham City?
    Der Erwachte ging aufs laue Lüftchen zu, gegen den moosig duftenden Strom von draußen. Sein Blick fiel sofort vom Fensterbrett runter mitten in den schwärzest denkbaren Sumpf, wo die Frösche quakten: Ribbit Ribbit, wie in Comics – »In Europa sind sie gebildet, da machen sie subaqua subaqua«, sagte Robert in die dumpfe Luft, die aus nassen warmen Tüchern aufzusteigen schien, und überlegte, daß er Jahrzehnte nicht mehr in Europa gewesen war, und daß ihm das komisch vorkam. Jennifer, mit deinen orangenen Haaren.
    Wo. In Europa: subaqua.
    Was ist das für ein Sumpf, wo sind wir, in »Louisiana Breakdown« von Lucius Shepard, blutwarme Welt von Poppy Brite, von Caitlin Kiernan oder Anne Rice? Das Buch von Shepard liebte er, seit langem. Er hatte es nicht dabei, sondern Schimon geschenkt, zwei Tage vor der Abreise.
    Robert hatte wieder viel zu lesen angefangen, in der letzten Jerusalemer Zeit. Nichts davon hatte jedoch Niederschlag im Tagebuch gefunden, der neue Lese-Eifer (Shepard Wallace Freud Marano Weiss Simmons Dickens Moorcock King Brite Flaubert Proust Scholz MacLeod Stephenson Johnson Brandom Davidson Bergman) war anders als der alte, beru flich e, ein heimliches Feuer, Licht im Dunkeln, nicht dem grellen Sonnenlicht auszusetzen, das in der neuen, von Miri Eisin geschaffenen Republik Palästina über alle langen Tage herrschte. »Mschnrmz«, brummte er und zog sich Tarnhose und T-Shirt an: Mein Bauch hat zu viele schwarze Haare um den Nabel und ist überhaupt zu dick, irritabile. Pergament, verpennt. Mal schauen also, erteilte sich der General a. D. die Tageslosung, was das für ein Haus hier ist, wo ich gelandet bin.
    2  Barfuß ging Robert auf dem schwarzweißen Teppich – Salz und Pfeffer in Wolle – zwischen vanillefarbenen Tapetenwänden, von schokoladigen Adern durchzogen, einen langen Gang in

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