Für immer in Honig
noch Gott weiß was mit ihr anzustellen.
Wann immer sie danach nicht diesem Knacker in die Augen sah, schaute sie auf eine Art ins Leere, die Torsten daran denken ließ, daß es so wohl auch Hollywoodstars anstellen müssen, wenn sie gezwungen sind, sich an Orten aufzuhalten, die außer von anderen Stars eben leider auch vom Pöbel aufgesucht wurden – wenn man die bewundernden oder skandalisierten Blicke der ungewaschenen Menge einfach nicht erwidert, läßt sie irgendwann vielleicht auch wieder von einem ab.
Es funktionierte sogar: Allmählich schaute fast niemand mehr gebannt zu der Unglaublichen, nur die Begleiterin des Kratzbarts beobachtete sie beim Speisekartenlesen und Turteln mit ihrem alten Sack. Der Blick dieser Frau war für Torsten schwer zu deuten: Fand sie Valerie süß oder faszinierend, hielt sie das Mädchen für schrecklich, wollte sie sich vielleicht abgucken, wie man so jung aussah?
Bartglatze verwickelte einigermaßen erfolgreich Valeries Bock in ein Gespräch. Beide taten nun so, als wäre alles in Ordnung. Normalität kehrte an ihrem Tisch ein und breitete sich von dort her schließlich im ganzen Raum aus. Torsten brach sich noch etwas Brot ab, während seine Mutter auf ihrem Salat rumkaute und der Vater begann, seine soeben auf den Tisch gestellte Tomatensuppe auszulöffeln.
Der Geräuschpegel, von dem Torsten jetzt erst bemerkte, daß er beim Eintreten der sensationellen Vierergruppe kurzzeitig deutlich abgesun ken war, stieg wieder an. Endlich kam auch seine Pizza, kurz darauf wurden die Nudeln mit Meeresfrüchten für den Vater und Lasagne für die Mutter gebracht. Torsten aß, mit plötzlichem Heißhunger. Alle Gedanken an Peinlichkeit waren vergessen. Zwei Dinge beschäftigten ihn, wann immer er hinübersah zu den bizarren vier, wann immer Valeries schwarzer Rock sich bewegte, wenn sie mit dem Po aufreizend auf dem Stuhl rumruckelte, oder der Typ sie betatschte, mal an der Schulter, mal am Knie – erstens das sichere Wissen, daß er mit der Information, die ihm hier soeben zugefallen war, unbedingt irgendetwas anfangen mußte, schon weil sie ihn damals auf so eiskalte Art hatte abblitzen lassen – eine Woche, und dann diese Frechheit, von wegen: sie hätte nicht mehr genug Zeit, ihre Freundinnen zu sehen – na, das hatte sich damit geklärt. Nicht mal auf seine SMS hatte sie am Ende geantwortet, und ihr mehr als dreimal auf die Mailbox zu sprechen, dafür war Torsten sich denn doch zu cool gewesen.
Zweitens, zwingend: Torsten würde seine Prioritäten klären müssen. Was konnte er, was wollte und sollte er fordern? Sollte er Valerie fürs Erste ganz unspezifisch erpressen und sich auf diesem Weg allmählich alles verschaffen, was sie ihm vorenthalten hatte und was offenbar irgendwelche Jeansgreise gegen ein bißchen Klamottengeld ohne weiteres bekamen? Sollte er sich »einfach so« rächen, etwa indem er sie bei ihren Eltern verpetzte, dem distanzierten Vater und der Mumie von Mutter, die sie hatte?
Vielleicht, so synthetisierte er sich schließlich eine vorläufige Strategie aus seinen beiden Gedankengängen, würde es das Beste sein, wenn er sich spätestens ab morgen eine Weile an ihre Fersen heftete und den Zufallseinblick, den er heute erhalten hatte, durch weitere Daten ergänzte und vertiefte. Erst mal rauskriegen, was für eine Schweinerei diese Schweinerei da eigentlich genau war. Dann konnte man immer noch entscheiden, ob man eher dagegen vorgehen oder selber was davon haben wollte.
3 Das Telefon klingelte. Judith fuhr an ihrem Heimarbeitsplatz zu sammen: Fuck, das muß aufhören. Ich bin ein Nervenbündel, ein zuckender Schwamm, der immer nur mehr von all diesen Sachen aufsaugt: den Gerüchten um Robert, den Blicken der Bekannten …
Sie hörte ihre eigene Anrufbeantworterstimme sagen: »Dies ist der Anschluß von Judith Neumann …« – und sprach drüber, in den leeren Raum, der sich um sie zu drehen schien und dessen braune Teppichfliesen allen Horror dieser Welt ausdünsteten: »Es hört jetzt auf. Jetzt. Heute abend. Wenn er zurückkommt. Egal, wo er mit ihr gewesen ist, völlig …«
Die Ansage war fertig.
Die Anruferin, die jetzt zu sprechen begann, war Ileana, eine gute Freundin, mit der Judith in Potsdam studiert hatte und die sie nur noch selten sah, obwohl Ileana in derselben Stadt wohnte wie sie, der einen, der großen, der wichtigen Stadt, die sich so unglaublich verfinstert hatte für Judith, seit Robert sein beschissenes »Experiment«
Weitere Kostenlose Bücher