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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Bernd und Schorsch hatten fasziniert das intime kleine Drohgespräch verfolgt und deshalb nicht gesehen, daß Philip fast schon neben Astrid stand. Geduldig, fast fröhlich, wenn auch bei jedem Schritt zusammenzuckend, war er herangestolpert. Er hob seine beiden von Schürfwunden übersäten, straßendreck- und blutverschmierten Handflächen und streckte sie Astrid entgegen. Dann spuckte er ein Stück Amalgam-Füllung und einen halben Eckzahn aus. Mit angeschwollener Zunge und viel Blut im Mund mulmte er spritzend: »Na … du … feige kleime Fau … Luft auf die nägfte … Runde?«
    Astrid stand auf. Sie schüttelte den Kopf, grinste. Dann rammte sie ihm mit voller Wucht die Faust in die Magengrube. Philip klappte zusammen wie ein Taschenmesser, die Knie schlugen gegeneinander und dann auf Kopfstein. Er lag zu ihren Füßen. Sie blickte neugierig und ein bißchen verwundert auf ihn hinunter, weil er schon wieder kicherte. Die alte Frau hatte ihr Fenster geschlossen, ansonsten rührte sich nichts mehr auf dem Platz. Es war windstill und sonnig, feiertagsfriedlich. Peter hatte sich in Embryonalhaltung zusammengerollt, Schorsch spuckte ihm auf den Kopf. Die beiden männlichen Nazis kickten lustlos nach Andy.
    Fette, am Brunnen, kam allmählich summend und schluchzend zu sich.
    Philip griff mit beiden Händen nach Astrids weißen Hosenbeinen. Das linke war blutig von der Stichwunde, die Andy ihr beigebracht hatte. Astrid bückte sich, faßte Philip unter den Armen und zog ihn in die Höhe. Bernd und Schorsch, die annahmen, daß ein großer Spaß bevorstand, richteten ihn von hinten auf und stützten ihn ab, als Astrid seinen Kopf mit beiden Händen faßte und so gerade hielt, daß sich ihre Blicke trafen.
    »Wieviel willst du eigentlich noch in die Fresse, Sozialarbeiter?« wunderte sich Astrid halblaut. Philips Hände fanden, an zitternden Armen, zu seinem Kinn, er wischte sich mit ihnen das Blut ab, dann wischte er, den nur die kräftigen Arme der zwei Idioten aufrecht hielten, sich die blutigen Hände an Astrids Jeansjacke ab.
    »Oohh …«, seufzte Philip und sah sich mit interesselosem Wohlgefallen das saftigrote Schmierbild an, das er auf Astrids Brust hinterlassen hatte.
    »Brima … Titten … aber ganff … verfmiert.«
    Bernd und Schorsch erschraken: Jetzt, dachten beide, würde sie ihn umbringen.
    Astrid lachte, beugte sich kurz vor, küßte Philip blitzschnell auf die Stirn und sagte: »Haltet ihn gut fest. Ganz fest.«
    Erneut schlug sie ihm mit der Faust in die Magengrube, noch einmal, noch dreimal. Jedesmal hörten die beiden Nazis zu seiner Rechten und Linken Luft aus seinem Mund und seiner Nase pusten. Blut, das er dabei ausspuckte, spritzte Astrid ins Gesicht und auf den Hals. Und wieder ein Hieb. Nach einem Dutzend solcher Schläge, bei denen Bernd und Schorsch allmählich Mühe hatten, nicht nach hinten gerissen zu werden und ihre Traglast zu verlieren, hörte Astrid auf. An Philip vorbei blickte sie zu Fette und Zetta, die Teufel die Wangen abklatschten, ihn aufzuwecken versuchten.
    Philip hob den Kopf, so gut er konnte, und krächzte: »Waf … fon langweilig geworm … oba waf?«
    Astrid faßte ihn ins Haupthaar wie vorhin Peter, zog daran, rückte den Kopf gerade und sah ihn direkt an. Dann sagte sie: »Du bist schon lustig drauf, Partner, weißt du das?«
    »Ach, sei doch still …«, sagte Philip.
    Er sprach den Satz vollständig klar und deutlich, ohne Nuscheln, ohne Blutblubbern, und vor allem: ohne die Lippen zu bewegen. Astrid verstand verzögert, was geschah: Er sprach in ihrem Kopf. Zwischen seinen Augen sah sie eine blaue Flamme tanzen, Gasflämmchen im Boiler, dachte sie, und: geschrumpftes Nordlicht.
    Die andern, der Brunnen, der Platz, die Altstadt, alles fiel von ihr ab wie morsche Rinde.
    Sehr viel höhere Gegend, ältere Geschichte ging als ein ­Ewig­keits­atem­zug durch sie hindurch, Wind von den Wiesen her, auf denen Philip als Kind und Jugendlicher mit seinen Freunden rumgerollt war. Die Flamme wurde heller, greller, blendend: Schnee auf der Schweigmatt fiel Astrid ein, vor vielen Jahren, beim Schlittenfahren mit Susanne Behnke, Heike Isenmann und den andern. Etwas stach in ihre Augen, ein Geruch brachte sie aus der Fassung: dampfende Pferderücken früh am Morgen. Rufe, von einem fremden Ufer her, ganz leise, versuchten sie aufzuwecken. Pferdeleiber: Sie schweben den Entegast hinunter, eine Illusion natürlich, die daher rührte, daß man im Nebel die Beine der Pferde

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