Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
speziellen Einsatzgerätes zu drücken, und dann wimmele es hier nur so von Polizisten. Aber der Zeitpunkt wäre noch nicht gekommen. Er beobachtete von hier aus die Umgebung, bis ein bestimmter Gangster auftauchen würde. Dann würde es losgehen, und alle sollten dann besser in Deckung bleiben. Es könnte gefährlich werden.
Manchmal verschwand der Sheriff für ein paar Wochen in der Psychiatrie, aber wenn er wiederkam, gingen seine Spielchen von Neuem los. Wer ihn kannte, strickte ein wenig mit an seinen Geschichten und ließ ihn dann weiterspinnen. Ayse hörte dem Sheriff amüsiert zu, dessen Phantasie keine Grenzen kannte. Als Jens aber vom Sheriff wissen wollte, wie die Mafia ihre Leichen entsorgen würde, hatte sie keine Lust mehr zuzuhören. Von Leichen hörte sie in letzter Zeit sowieso schon genug.
So zahlte sie und ging den Sielwall hoch bis an die Weser. Am Kiosk oben auf dem Deich, der seit Neuestem in den Vereinsfarben des SV Werder Bremen gestrichen war, kaufte sie sich eine Dose Cola und setzte sich an der Uferpromenade auf eine Bank. Sie blickte auf das graue Weserwasser und dann hinüber auf die andere Seite. Eine Zeit lang beobachtete sie einige Männer, die Ruderboote aus dem alten DLRG-Schuppen am Weserstrand holten und diese aufbockten.
Sie betrachtete die Buchsbaumhecken und hölzernen Pforten der Kleingärten, die sich auf der anderen Weserseite befanden. Sie verspürte selber schon seit langem die Lust, sich ebenfalls einen dieser Gärten zuzulegen. Aber die Kleingartenvereine missfielen ihr: Zu viele Regeln galt es zu beachten, zu viele spießige Nachbarn zu ertragen. Aber als Alternative rauszuziehen, aufs Land, dazu war sie noch nicht weit genug. Sie brauchte beides: das quirlige Leben im Viertel und einen Garten.
Nur eine Frage des Geldes, dachte sie sich. Obwohl sie als Oberkommissarin genügend Geld verdiente, um damit gut zurechtzukommen, war ihr klar, dass es dafür nicht reichen würde. Dazu bräuchte sie einen zweiten Verdiener. Aber deswegen heiraten? Wenn der Richtige kommt, na klar, sinnierte sie weiter. Aber dann wollte sie auch Kinder. Und schon war ein für diesen Traum erforderliches Gehalt wieder weg. Sie warf die leere Coladose in einen Abfalleimer und entschloss sich, noch einen ausgiebigen Spaziergang zu machen, bevor sie sich am Abend in die verräucherten Kneipen begeben würde. Sie schlenderte in Richtung Weserstadion, in dem der SV Werder Bremen in diesem Jahr zum Abschluss der Saison ernsthaft um die Fußballmeisterschaft kämpfte. Sie war kein großer Fußballfan, aber ein paarmal war sie dienstlich für Aufklärungsaufgaben in der Hooliganszene im Stadion gewesen und hatte dabei festgestellt, dass sie sich beim Jubeln und Anfeuern schon mitreißen lassen konnte, wenn es spannend wurde. Sie hätte vorher nie gedacht, dass sie von dieser Massenhysterie ergriffen werden könnte.
Sie schlenderte oben auf dem Sommerdeich hinter dem Weserstadion entlang, lugte über den Zaun des noch geschlossenen Freibades und erinnerte sich daran, in einem alten Film über Bremen gesehen zu haben, dass vor dem Zweiten Weltkrieg hier zwei öffentliche Badeanstalten an der Weser angelegt waren. Die Alten im Ostertor erzählten, dass einer der beiden Betreiber bei den Kindern und Jugendlichen sehr beliebt war, da er ständig Indianerspiele mit ihnen veranstaltete. Ein schönes Bild entstand vor Ayses Augen: Ein herrlicher Sommertag, badende Menschen in der Weser, alle hatten viel Zeit, unbeschwert banden als Indianer verkleidete Kinder den Schwimmbadbesitzer laut juchzend an einen Marterpfahl.
Wie viele ihrer Mitmenschen verfiel auch Ayse kurz dem romantischen Gedanken, dass früher alles einfacher, ruhiger und besser gewesen war. Aber das war ja Quatsch. Ayse dachte an die Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren, den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, das Elend und die Hungersnöte danach. Nein, sie wollte ihr Leben mit keinem tauschen, der dieser Generation angehörte. Für Ayse war heute alles wesentlich besser als früher. Und natürlich galt es auch in dieser Zeit Probleme zu lösen. Aber der Frieden war zumindest in Europa konstant, und Armut oder Unterdrückung hatte Ayse persönlich nie kennengelernt. Sie war dankbar, an diesem Fleck der Erde geboren worden zu sein, und nicht in Afrika oder in Anatolien, wo ein entfernter Teil ihrer Familie noch lebte. Da hätte sie wahrscheinlich nicht mal eine Schule besucht, geschweige denn, einen Beruf erlernen können, mit
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