Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
dann aber an eine große Packung Chicken Wings im Tiefkühler. Die waren heute fällig. Und in Gedanken entdeckte sie auch das Glas mit der süß-sauren Sauce im Kühlschrank. Für alles war also gesorgt. Und notfalls konnten ihr die Kollegen etwas zu Hause auf den Anrufbeantworter sprechen. Dann konnte sie auf jeden Fall entscheiden, ob sie sich aufraffen musste oder nicht.
Ayse hatte sich für die Ermittlungen dieses Abends sehr auffällig angezogen. Sie trug eine superenge, gelbe Hose aus geschintzter Baumwolle, darüber ein schwarzes Top, über das sie eine kurze, rote Jacke aus glattem Leder zog. Sie sah aus wie ein bunter Vogel und meinte, dass sie damit am besten in der Schwulenszene zurechtkommen würde. Auch Bernd Schultze hatte sich für seine Verhältnisse verkleidet, wie Ayse meinte. Er hatte seine legeren Pullover und ausgebeulten Hosen gegen einen dezenten, grauen Anzug mit dunklem Hemd und edler Krawatte eingetauscht. Seine etwas verwilderten Haare boten einen deutlichen Kontrapunkt dazu, aber insgesamt sah er richtig gut aus. Ayse staunte über Schultzes Erscheinungsbild genauso wie er über ihr kokettes Aussehen. Zusammen sahen sie wie ein verrücktes Pärchen aus.
„Wahrscheinlich genau richtig für die Tuntenszene!“ lachte Schultze. „Aber unter den normalen Schwulen lösen wir wahrscheinlich nur Gelächter aus.“
„Abwarten!“ betonte Ayse und rückte ihre Dienstpistole zurecht, die ihr unangenehm in den Rücken drückte.
„Lassen Sie die doch zu Hause! Wir brauchen bestimmt keine Waffen heute Nacht!“ schlug Schultze vor, um Ayse von ihren Qualen zu befreien.
„Kommt nicht in Frage! Was machen wir, wenn wir unseren Mann heute Abend zufällig treffen? Immerhin hat er auch Kontakte zu Homosexuellen.“
„Sie haben wahrscheinlich recht. Aber ich muss gestehen, ich habe meine nicht dabei. Also, wenn es was zu schießen gibt, dann müssen Sie ran!“
„Alles klar, Compañero!“ mimte Ayse mit tiefer Stimme den Pistolero. Beide lachten. Zwischen ihnen herrschte eindeutig eine unbeschwerte Atmosphäre.
Zu Fuß schlenderten sie in Richtung Hauptbahnhof. Sie brauchten für ihren heutigen Auftrag keinen Dienstwagen. Die Kneipen und Treffpunkte, die sie aufsuchen wollten, lagen alle in der Bahnhofsvorstadt oder daran angrenzend. Zuerst wollten sie einen Sexshop in Augenschein nehmen, in dessen Keller Videokabinen standen, in denen man sich Pornofilme ansehen konnte. Angeblich sollte es dort noch einen Raum geben, in dem sich Männer trafen, die eine schnelle Sexnummer haben wollten. Lautermann könnte dort bekannt gewesen sein, oder jemand hatte ihn in Begleitung gesehen.
Deutlich war am Eingang zu lesen, dass der Sexshop bis 24 Uhr geöffnet hatte und dass jede Woche das Programm in den Videokabinen wechseln würde. Menschen rannten in Trauben an dem Laden vorbei, auf dem Weg zum Hauptbahnhof oder von ihm kommend. Einige von ihnen schauten sich bewusst im Vorbeigehen die Auslage im Schaufenster an, die neben einer Schaufensterpuppe in schwarzer und roter Reizwäsche allerlei Utensilien anbot. Andere blickten nur verstohlen aus den Augenwinkeln darauf. Verklemmte und weniger Verklemmte eben.
Bernd Schultze und Ayse durchquerten die elektronische Barriere der Diebstahlsicherung. Kurz hinter dem Eingang blieben beide stehen und versuchten sich zu orientieren. Hilfesuchend blickte Ayse Bernd Schultze an, in der Hoffnung, er würde sich hier souveräner verhalten können und wüsste, wie alles abläuft. Für sie stand fest, dass er als Mann und zusätzlich noch Ermittler im Sittenkommissariat genau wusste, wie es hier zuging. Doch auch Bernd Schultze musste sich erst einmal sammeln.
Zu Ayses Überraschung stand nicht nur eine Frau hinter dem links gelegenen Ladentisch, sondern auch an den Regalen standen vereinzelt Frauen und besahen sich die angebotenen Waren. Alles junge Frauen. Das hätte sie nicht gedacht. Die Zeiten hatten sich wirklich geändert. Als Ayse 15 war, haben sich einige ihrer Freundinnen anlässlich der Walpurgisnacht mit anderen Feministinnen zusammengetan und die Schaufensterscheiben der Sexshops in der Stadt eingeworfen. Es kam sogar zu handgreiflichen Attacken auf Freier, die im Steintor in die Helenenstraße ins Bordell wollten. Aber heute waren das an der feministischen Front keine Kampfplätze mehr. Die Akzeptanz hatte sich verschoben. Heute gingen engagierte Frauen nicht mehr gegen die Bordelle vor, sondern prangerten Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung durch
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