Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
zu überzeugen, sich mit uns zu treffen. Das heißt nicht, dass sie eine schriftliche Aussage machen wird. Sie hat Angst, in etwas hineingezogen zu werden. Wir wissen nicht, was sie sonst noch alles weiß, aber sie hat uns den entscheidenden Hinweis gegeben. Vielleicht ist sie selbst in die Taten verwickelt. Vielleicht kennt sie den Täter persönlich. Das alles liegt im Dunkeln. Aber wenn sich herausstellt, dass sie mit den Morden nichts zu tun hat, werden wir versuchen, sie zu überzeugen, eine Aussage zu machen. Zurzeit gilt für alle: Infos zurückhalten. Und auf Empfang bleiben, bis ich mich heute Nachmittag wieder melde.“
Mit diesen Worten löste Mechthild die Besprechung auf. Bevor ihr Roder entwischte, zog sie ihn zu sich heran. „Ich treffe mich heute Nachmittag mit der Zeugin. Was meinen Sie: Wollen Sie in der Nähe sein, wenn ich mit ihr spreche? Vielleicht können wir sie so leichter identifizieren?“
Roder lehnte den Vorschlag seiner Chefin ab. „So, wie ich aussehe, riecht man drei Meilen gegen den Wind, dass ich ein Bulle bin! Wenn unsere Zeugin so viel Angst hat, wie Sie glauben, wird sie schon alle ganz normalen Passanten für Polizisten halten, die sie beschatten. Nein, das bringt nichts. Ich wünsche Ihnen nur viel Glück. Und seien Sie sicher: Das meine ich wirklich ernst!“
Mechthild hatte noch eine gute Stunde Zeit bis zum Treffen mit der unbekannten Anruferin. Sie musste ihre Gedanken sammeln. Alles hing von dieser Zeugin ab. Was würde sein, wenn sie nicht erschien? Oder einfach nicht dazu zu bewegen war, die Photodatei der registrierten Verbrecher anzusehen? Dann könnten sie tagelang das Rockerheim observieren, bis endlich jemand rauskam, auf den die vage Beschreibung passte. Wahrscheinlich passte sie auf jeden dieser Typen: groß, kräftig, kurzgeschorene Haare, schwarze Kleidung. So sahen wahrscheinlich fast alle Rocker aus.
Mechthild überlegte noch, wie sie in diesem Fall ihre Ermittlungen fortsetzen sollte, als die Tür zu ihrem Büro zaghaft geöffnet wurde. Langsam schob Bernd Schultze seinen Kopf mit den zerzausten Haaren durch den Türspalt. „Darf ich?“ fragte er vorsichtig.
Mechthild konnte Bernd Schultze im Augenblick gar nicht gebrauchen. Aber sie winkte ihn trotzdem herein. Sie brauchte jemanden, mit dem sie über die Zeugin sprechen konnte. Ihr fiel ein, dass er die Observation der Zeugin übernehmen könnte. So wie er aussah, stellte sich bestimmt niemand einen Polizisten vor. Die Abwertung von Schultze wurde ihr bei diesem Gedanken bewusst, und sie schämte sich plötzlich dafür. Sie dachte schlecht über ihn, und es war ihr klar, dass sie einem Vorurteil aufsitzen würde.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, eröffnete Schultze das Gespräch. „Sie haben eine konkrete Spur?“
„Ja, wir haben eine anonyme Zeugin, die entscheidende Hinweise gegeben hat.“
„Wie mir Ayse eben erzählte, soll es sich um einen Rocker handeln? Stimmt das?“
Mechthild schaute ihn irritiert an. „Natürlich stimmt das! Oder glauben Sie, dass Ayse oder ein anderes Mitglied der Mordkommission Ihnen absichtlich etwas Falsches mitteilt?“ Mechthild wunderte sich, dass sie schon wieder so gereizt war.
Schultze schüttelte den Kopf. „Nein, nein! So war das nicht gemeint. Ich glaube nur, Sie liegen falsch!“
Mechthild setzte sich gerade hin. „So, glauben Sie. Was glauben Sie denn noch?“ Ihre Stimme war noch schärfer geworden. Warum konnte sie keinen normalen Tonfall im Umgang mit Schultze finden, fragte sie sich.
Aber Schultze schien dies entweder nicht zu registrieren, oder es interessierte ihn nicht. „Wissen Sie, Rocker sind dafür bekannt, dass sie eine Gruppe brauchen, um ihre Minderwertigkeitsgefühle zu verschleiern. Sie lieben es, wenn allein ihr Anblick Angst auslöst und ihnen damit Respekt gezollt wird. Wenn das nicht klappt, reagieren sie oft mit unangemessen großer Gewalt. Sie sind Schläger! Aus Unvermögen, Konflikte anders zu lösen. Verstehen Sie: Schläger!“
Mechthild verstand nicht. Was sollte das? Ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft musste man schon haben, um einen anderen umzubringen. Was sprach also gegen den Verdacht? Sie schaute Schultze wortlos und fragend an, dass dieser das Gefühl bekam, er müsste jetzt einen Grundkurs in Psychologie abhalten. Aber dazu hatte er keine Lust. Er wollte jetzt einfach nur sagen, was er dachte. Wenn Mechthild Kayser nicht verstand, was er meinte, dann wäre es ihr Problem, sagte er sich. Er hatte keine
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