Fürchte deinen Nächsten!
überlegen.« Sie wollte etwas sagen, aber sie sah, daß ich mein Handy bereits aus der Tasche gezogen hatte und wählte.
Suko war im Büro und auch sehr schnell am Apparat. »Oh, John Sinclair. Meldet sich der Herr auch noch mal?«
»Keine Zeit für Scherze, Suko, es brennt.«
»Dann laß hören.«
Wir beide brauchten nie viel Worte, um gewisse Dinge zu klären und zu erklären. So dauerte das Gespräch auch nur knapp drei Minuten, und mein Freund wußte Bescheid.
»Okay, ich komme so schnell wie möglich zur Klinik. Hier gibt es nichts Neues. Ich habe mir die Akte des Mannes angeschaut, aber weiter bin ich nicht gekommen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Dann war ich mal wieder am falschen Ort. Bis gleich dann.«
»Er kommt«, sagte ich zu Marcella und ließ das Handy verschwinden.
Sie stand unschlüssig an der Wand. »Ich weiß leider nicht, was ich jetzt noch unternehmen soll. Vor einer Stunde war es noch leichter. Da verlief mein Leben zwar in ungewöhnlichen, doch trotzdem regelmäßigen Bahnen. Jetzt ist einiges aus der Spur gelaufen. Ich weiß nicht einmal, wie ich mich verhalten soll.«
»Keine Sorge, Sie werden sich damit zurechtfinden. Was hatten Sie denn überhaupt vorgehabt?«
»Ich wäre bis zum Feierabend geblieben und hätte noch einige Krankenakten auf den neuesten Stand gebracht. Judas Delany ist nicht mein einziger Fall gewesen. Dann wäre ich nach Hause gefahren, hätte ein Bad genommen und es mit gutgehen lassen.«
»Wunderbar«, lobte ich.
»Was meinen Sie?«
»Ihr Vorhaben.«
»Ha, Sie haben gut reden. Das ist jetzt dahin.«
»Keinesfalls…«
Marcella Ash schaute mich skeptisch an. »Hören Sie, John, meinen Sie das ernst?«
»Ja, Sie werden alles so tun, wie Sie es vorgehabt haben. Mein Freund hält ein Auge auf Sie. Und er ist auch jemand, dem ich es zutraue, mit Delany fertig zu werden.« Das gefiel ihr immer noch nicht, ich sah es ihr an. Deshalb mußte ich weitere Überzeugungsarbeit leisten. »Sehen Sie, Marcella. Egal, wohin Sie sich auch absetzen und sich verstecken, man wird Sie finden. Jemand, der sich unsichtbar machen kann, wie auch immer, der bleibt Ihnen auf der Spur. Vor dem können Sie sich nicht verbergen. Da reichen die dicksten Mauern nicht aus.«
Sie pustete mir ihren Atem entgegen. »Was Sie so reden, John. Unsichtbar machen können. Ich kann und will es noch nicht glauben. Das ist mir einfach zu hoch und zu viel. Davon träumt man höchstens wie davon, fliegen zu können. So etwas kann es nicht in Wirklichkeit geben…«
Ich wußte es besser, denn ich brauchte da nur an den CIA-Agenten Mark Baxter zu denken, der dies auch geschafft hatte. Und auch an die Krone der Ninja, die in den tiefsten Archiven des Yard schlummerte.
»Warum sagen Sie nichts, John?«
»Sorry, aber ich war in Gedanken.«
»Kann ich mir vorstellen.« Sie betrat die Zelle wieder. »Ich möchte wissen, wer als nächster auf der Liste steht, wenn wir es nicht sind. Und wo wir den Toten finden werden. Haben Sie schon mal daran gedacht, alle Londoner Kirchen überwachen zu lassen?«
»Das habe ich tatsächlich, aber es dauert etwas. Außerdem sind so viele Menschen nicht so schnell zu beschaffen. Das ist wirklich ein logistisches Problem. Außerdem besteht keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Es muß stärkere Gründe für eine Eingreiftruppe geben.«
»Da haben Sie aus Ihrer Sicht als Fachmann recht.« Sie schaute auf das unbeschädigte Fenster mit den Gitterstäben davor. »Wen hat er sich nur ausgesucht?«
»Irgendeinen Menschen«, antwortete ich. »Wie schon bei den vier Fällen zuvor.«
Marcella Ash drehte sich um. Ihr Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck bekommen. »Das will ich diesmal einfach nicht akzeptieren, John. Ich erinnere mich noch genau an die Worte. Delany hat uns zwar nicht gesagt, wen er sich holen will, aber ich hatte das Gefühl, daß er bereits auf eine bestimmte Person fixiert war, die er vor uns umbringen will.« Sie schüttelte sich. »Meiner Ansicht jemanden, der ebenfalls mit diesem Fall zu tun hat, außer uns beiden.« Sie stach mit dem rechten Zeigefinger gegen mich. »Und ich frage Sie jetzt, wer das Ihrer Meinung nach sein könnte. Wer ist noch involviert, wenn auch nicht so stark wie wir?«
Ich brauchte nicht lange zu überlegen und sagte mit leiser Stimme: »Da gäbe es jemanden.«
»Kenne ich die Person?«
»Ja, es ist ein Mann. Alex Rankin.«
Marcella trat einen Schritt zurück und erschrak. Sie sah aus, als wollte sie die
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