Fundort Jannowitzbrücke
konnte.«
Barbara stieß den Rauch ihrer Zigarette aus. »Was wollen Sie von mir?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Ich möchte Ihnen eine Geschichte von zwei Menschen erzählen. Wenn Sie noch Zeit für mich haben.«
»Ich erwarte eine Verabredung«, sagte sie kühl.
Michael tat, als hätte er es nicht gehört. »Diese beiden Menschen, von denen ich Ihnen erzählen will, sie sind dabei, erwachsen zu werden, und sie leben hier in dieser Stadt. Beide wachsen in kaputten Verhältnissen auf, keiner kümmert sich um sie. Es gibt keine Liebe, keine Zuneigung. Sie müssen allein für ihr Überleben sorgen. Und sie müssen auf der Hut sein. Die Welt ist voller Feinde und es scheint nichts als Gewalt und Haß zu geben. Ruhe finden sie nirgends. Sie kämpfen dagegen an. Doch am Ende verliert einer der beiden seine Menschlichkeit.«
Er suchte vergebens ihren Blick hinter den Brillengläsern.
»Äußerlich hat sich nichts verändert«, sagte er. »Doch einer von beiden beginnt zu morden. Können Sie mir sagen, was passiert ist? Was unterscheidet den einen vom anderen? Wer bleibt ein Mensch, wer wird zu einem gefühllosen Wesen?»
Sie schüttelte den Kopf und schob die Brille ins Haar. »Hören Sie! Ich weiß nicht, was Sie in mir zu erkennen glauben. Sie und ich, wir haben nichts gemeinsam. Gar nichts.«
»Es geht nicht um Gemeinsamkeiten«, sagte er lächelnd.
Sie drückte wütend ihre Zigarette aus. »Mich wundert nicht, daß Sie den Mörder nicht finden«, fauchte sie. »Soll ich die Frauen etwa umgebracht haben? Wie stellen Sie sich das vor?«
Michael sah sie an. »Wie kommen Sie darauf, daß ich in diese Richtung gedacht haben könnte?«
Sie lehnte sie sich zurück und verschränkte die Arme. »Es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen. Ich erwarte eine Verabredung.«
»Ich wollte Sie nur einladen, darüber nachzudenken.«
»Gehen Sie!« sagte Barbara heftig.
Michael trank seinen Tee aus, legte ein paar Münzen auf den Tisch und stand auf.
»Man sieht es dem Monster nicht an«, sagte er, bevor er ging. »Niemand wird sagen können, wer von beiden es ist.«
Gerhard Pohl war spät dran, als er die Dienststelle verließ. Er fuhr eilig durch die Nebenstraßen, bis er endlich auf den Mehringdamm in Richtung Tempelhof bog. Sofort stand er im Stau. Er ärgerte sich, nicht die U-Bahn zur Zentrale des LKA genommen zu haben. Denn dann wäre er pünktlich zum Termin mit seinem Abteilungsleiter erschienen.
Er lehnte sich über das Steuer und betrachtete das Heck des Wagens vor ihm. Der Kofferraum des rostenden Ford Granada war von zahllosen Aufklebern bedeckt. Sticker der Friedensbewegung klebten neben antifaschistischen Parolen. An der unteren Heckklappe entdeckte er zwischen dem Tucholsky-Zitat »Soldaten sind Mörder« und dem stark ausgeblichenen Aufruf »Freiheit für Nelson Mandela« wieder einmal sein Lieblingsmotiv. Drei Schutzpolizisten glotzten ihn mit gewaltigen Hundeköpfen an, darunter stand: »Wir müssen draußen bleiben«.
Dem Granada war von weitem anzusehen, daß der TÜV vor einiger Zeit abgelaufen sein mußte. Zudem konnte Gerhard Pohl deutlich erkennen, daß sich der Fahrer einen Joint angezündet hatte. Er drehte nicht einmal das Fenster herunter, und in der Fahrerkabine verdichtete sich der Rauch.
Der Fallanalytiker seufzte und schüttelte den Kopf. Er dankte dem Schicksal, daß er nicht mehr im Streifendienst arbeiten mußte.
Die Autoschlange setzte sich in Bewegung. An der nächsten Ampel kam sie wieder zum Stehen. Gelangweilt sah er aus dem Fenster. An einer Brandwand vor ihm hing eine Waschmittelwerbung. Eine jugendlich wirkende Mutter saß auf einer Waschmaschine und lachte in die Kamera. Unterhalb der Maschine stapelte sich blütenweiße Wäsche. Auf dem Arm trug die Mutter zwei kleine Kinder, anscheinend eineiige Zwillinge.
Pohl fixierte die Familie auf dem Plakat. Er fragte sich, ob es die beiden Schwestern auch in Wirklichkeit gab oder ob es eine Täuschung war, eine Fotomontage. Gebannt starrte er auf das Werbebild. Sein Herz begann zu rasen. Schweiß bildete sich in seinen Handflächen. Er hatte es die ganze Zeit übersehen. Die Lösung war direkt vor seiner Nase gewesen.
Ein Auto hupte hinter ihm. Er schreckte auf, setzte den Blinker und fuhr rechts heran. Der Verkehr lief an ihm vorbei. Aufgeregt kramte er nach seinem Handy. Die Nummer war eingespeichert, er brauchte nur auf die Taste zu drükken.
»Schrade«, meldete sich die Sekretärin in der Keithstraße.
»Pohl«, sagte
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