Gaelen Foley - Amantea - 01
eine Weile, bis er zu sprechen begann. „In jener Nacht – der Nacht des Sturms – befahl mir mein Vater fortzulaufen. Das tat ich. Die gedungenen Mörder verfolgten mich bis zu den Klip- pen am Meer, wo ich nur die Wahl hatte, entweder durch ihre Hand zu sterben oder zu springen.
Genau so, wie man es sich erzählt. Als sie mich immer näher an den Rand des Kliffs drängten, drehte ich mich zur See und sprang vom Felsen. Das hatten sie nicht er- wartet. Doch mein Vater hatte mir gesagt, ich müsse für
Amantea überleben. Und ich hatte es bis dahin nie gewagt, ihm nicht zu gehorchen.“
Lazar nahm eines der Gläser, die neben dem Zuber standen, und trank einen Schluck Wein.
„Irgendwie schaffte ich es, den Felsen zu entgehen. Der Sturm trieb mich weit vom Land weg“, fuhr er fort. „Ich befand mich wahrscheinlich etwa zwanzig Stunden im Wasser.“
„Wie entsetzlich“, bemerkte Allegra.
„Nach den Geschehnissen mit meiner Familie fühlte ich mich innerlich leer.“ Lazar schwieg eine Weile, küsste sie dann auf die Stirn und fuhr mit seiner Geschichte wieder fort:
„Nicht so sehr der Durst und die Erschöpfung quäl- ten mich, sondern ein großer, hässlicher Haifisch, der mir folgte, beschäftigte mich. Ich war mir sicher, dass ich sterben müsste.“
Lazar warf Allegra ein wehmütiges Lächeln zu. „Wie ich es geschafft habe, mich ruhig zu verhalten, bis dieses Un- tier sein Interesse an mir verlor, weiß ich nicht. Ich danke noch immer Gott, dass ich weder Schnitte noch Schürf- wunden durch meinen Sprung ins Meer davongetragen hatte. Sonst hätte der Geruch des Bluts sicher noch mehr Haifische angezogen.“
Allegra sah ihn aus großen Augen an.
„Die Sonne über mir brannte gnadenlos auf mich herab, und unter mir befand sich dieser schreckliche Hai. End- lich kam ein Schiff, eine Feluke. Ich hatte keine Ahnung, wer sich darauf befand. Es sah sehr seltsam aus, doch das war mir in diesem Moment gleichgültig.“
Allegra schaute Lazar fragend an, so dass er erklärte: „Eine Feluke ist ein schmales Schiff mit Lateinersegel, das die Barbaresken bevorzugt verwenden.“
„Oh“, sagte Allegra voller Vorahnung. „Maliks Männer haben dich gerettet?“
„Ich weiß nicht, ob ich es Rettung nennen würde.“ Lazar lächelte grimmig vor sich hin. „Aber sie haben mich aus dem Meer gezogen. Und sie gaben mir Wasser zu trinken.“
„Wie schrecklich es für dich gewesen sein muss, auf einmal unter diesen Heiden zu sein.“
„Daran kann ich mich nicht erinnern. Vermutlich hat es mich verängstigt, aber nachdem ich miterleben muss-
te, was mit meiner Familie geschehen war, war es mir gleichgültig geworden, was mit mir passieren würde.“
Allegra schüttelte traurig den Kopf und liebkoste Lazar. Er nahm ihre Hand und spielte gedankenverloren mit den Fingern, während er fortfuhr: „Ich wurde nach Al Khuum gebracht und dort für zwei Jahre gefangen gehalten, bis Kapitän Wolfe kam, um über den Opiumhandel mit Ma- lik zu sprechen. Wolfe hatte Mitleid mit mir – oder viel- leicht erkannte er, dass ich nützlich für ihn sein konnte. Jedenfalls half er mir zu entkommen.“
„Zwei Jahre?“ flüsterte sie. „O mein Liebster, wie, um alles in der Welt, hast du das ertragen?“
Er zuckte die Schultern. „Das zweite Jahr war nicht mehr so schlimm“, erklärte er und sah an die Decke, als ob er ihrem mitleidigen Blick ausweichen wollte. „Damals schickte mich Malik zu seinen Leibwächtern, mit denen ich ausgebildet werden sollte.
Es waren Sklaven, die bereits seit ihrer Kindheit für den Scheich arbeiteten und deren einziger Zweck darin be- stand, Malik zu verteidigen. Die Männer waren jederzeit zum Töten bereite Krieger. Ich musste zum Islam über- treten und einen Keuschheitsschwur ablegen“, erläuterte Lazar mit einem bitteren Lachen.
Er schüttelte den Kopf und hing eine Weile seinen Ge- danken nach. „Ich habe mich in die Ausbildung gestürzt und alles gelernt, was ich konnte. Damals bereits hielten mich nur meine Rachefantasien am Leben.“
„Und wie war das erste Jahr?“
Unbehaglich blickte er sie an. „Ich war ein Junge wie Darius. Ein Diener. Aber ich versuchte immer wieder weg- zulaufen und machte Schwierigkeiten. Einmal habe ich es sogar geschafft, das große Empfangszimmer anzuzünden.
Malik brachte mich beinahe um dafür, was mir ganz recht gewesen wäre. Aber stattdessen fand er einen Weg, mich ruhig zu stellen.“ Lazar kniff die Augen zusammen, und dann sah er
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