Gaelen Foley - Knight 06
Haus zu, da- bei schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
Der Wind und ihr energischer Gang ließen ihren Baumwoll- rock um die Beine wehen. Über ihr hielten die holzgeschnitz- ten Engel auf dem Dach Wache, mit Schwert und Schild hoben sie sich deutlich von dem wolkenlosen blauen Himmel ab. Tal- bot Old Hall besaß unzählige Giebel, was daher kam, dass die oberen Stockwerke in mittelalterlicher Bauart errichtet waren. Dicht rankte sich der Efeu die Wände hoch und umrahmte die Fenster mit ihren geschliffenen Gläsern.
Sie eilte ins Haus, durchquerte die dunkle, mit Eichenholz ge- täfelte Eingangshalle, vorbei an Mrs. Whithorn, die offensicht-
lich gern protestiert hätte, aber ihre Zunge im Zaum hielt, als sie Beckys entschlossene Miene bemerkte.
Sie durchschritt den dunklen Gang zur Haupthalle, kam an der Waffenkammer vorbei und an der massiven elisabethani- schen Treppe mit dem vertrauten Porträt aus dem 16. Jahrhun- dert. Es zeigte eine Vorfahrin namens Lady Agnes, die ein wis- sendes Lächeln trug und einen herrlichen Rubin, so groß wie eine Walnuss.
Es hieß, der Geist jener Lady würde auf Talbot Hall herum- spuken, und als Kind hatte Becky geglaubt, die graue Dame über der Galerie schweben zu sehen, doch nun, da sie erwach- sen war, war sie überzeugt, dass der Schatten nur in ihrer Ein- bildung existiert hatte.
Noch immer hallten die Klagen der Dorfbewohner in ihrem Kopf nach. Becky ging weiter, bis sie am Eingang zur großen Halle stand, innerlich für den Kampf gewappnet. Als sie sah, wie ihr blaublütiger Cousin müßig an einer langstieligen Pfei- fe sog, blieb sie wie angewurzelt stehen, angewidert von dieser Unhöflichkeit, die zudem neu war.
So, jetzt rauchte er auch noch im Haus.
Als wäre es nicht schlimm genug gewesen, wie er sie gestern nach dem Abendmahl auf der Treppe festgehalten hatte. Sie presste die Lippen aufeinander.
Dieser Mann hegte niemandem gegenüber Respekt. Alle Welt hatte seiner Hoheit zu Diensten zu sein. In Russland, in seiner Heimat, gehörten ihm um die zwanzigtausend Menschen. Sie vermochte sich das kaum vorzustellen.
Einen Moment lang ballte sie die Fäuste, dann öffnete sie sie wieder und wischte sich die feuchten Handflächen unauffällig an ihrem Rock ab. Sie achtete nicht auf ihr klopfendes Herz, reckte das Kinn und setzte ihren Weg in den weitläufigen Raum fort, ehe er sie bemerkte, und versuchte, Mut zu fassen.
Ihre Schritte hallten entschlossen auf dem kühlen grauen Steinboden wider, auch von der Decke mit den alten Balken und dem elfenbeinfarbenen Stuck.
Das Geräusch erregte Michails Aufmerksamkeit.
Falls er wusste, dass er ein unwillkommener Gast war, so ließ er sich nichts davon anmerken. Nun, da er gefrühstückt hatte, wirkte er vollkommen entspannt, ein König all jener, die ihm Untertan waren.
Er saß auf einer gepolsterten Bank an dem dunklen, schwe- ren Eichenholztisch, wo er soeben sein spätes Frühmahl been- det hatte, trug nur eine weite Hose und einen edel gearbeiteten Hausmantel. Der Prinz sah sie über den Rand seiner Zeitung hinweg an, dann ließ er das Blatt sinken und beobachtete sie mit dem wachsamen Blick eines Raubtieres.
Die Art, wie er sie kühl musterte, verursachte ihr Unbehagen, während sie zu den Fenstern hinüberging und sie öffnete, um den Raum von dem Geruch seines durchdringenden Pfeifenta- baks zu befreien. Eine Sommerbrise wehte herein und brachte mit sich den frischen Heideduft der blühenden Moore. Wie sehr sie sich danach sehnte, gerade heute einen Spaziergang durch die Landschaft zu machen, unbehelligt von alldem hier!
Doch durch das Fenster konnte sie die Ursache ihres Zorns sehen – die kleine Armee ausländischer Soldaten hatte sich auf dem Rasen hinter dem Haus breitgemacht. Erst jetzt begannen die Kosaken, sich zu regen, nachdem sie in der vergangenen Nacht betrunken durch das Dorf gezogen waren. Dabei war es schon halb elf vorbei. Sie boten einen exotischen Anblick hier auf der englischen Wiese, wo sie zwischen Schmetterlingen und Gänseblümchen ihren Wodkarausch ausschliefen.
Seit ihr Cousin mit seiner privaten Kosakengarde eingetrof- fen war, kam es ihr vor, als müsste ihr kleines Dorf unter frem- der Besatzung leben, und es gab niemanden, der sie befreien konnte.
Ein paar seiner Soldaten hatten um das Feuer herum auf dem Boden geschlafen, andere hatten ihre Häupter auf die Rücken ihrer zottigen, liegenden Ponys gebettet. Aus den sechzehn Fuß langen Lanzen hatten sie eine Art Zelt
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