Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
ihren Gefangenen nur am Rande wahr; sie hatte zu tun, die Neuigkeiten zu absorbieren. Sie ließ ihn auf dem großen weißen Sofa hin und her rutschen. Das Leder unter seinem Hintern knirschte leise. Und sie bereitete sich auf das vor, was sie als Nächstes zu tun hatte. So kam es, dass Minuten vergingen, ehe sie die Kommunikationskonsole verstummen ließ und Henning Lucas in die Augen sah.
»Alle Nachrichten von meinem Tod sind stark übertrieben, so geht doch das Bonmot, oder?«, sagte sie. Ja‘ana K‘jonasoidt Hakon T‘Arastoydt war es, die mit ihm sprach. Und sie war in einem merkwürdigen Zustand, zugleich zum Zerreißen gespannt und ganz locker. Ihre Augen waren vollständig auf Henning Lucas gerichtet, und ihm behagte das überhaupt nicht. Er konnte nichts in ihnen lesen, nicht das Geringste. Diese dunklen Pupillen waren wie Löcher in eine andere Welt. Henning Lucas konnte seinen Blick nicht von diesen unglaublichen Augen abwenden. Er konnte nicht sagen, ob er in fünf Minuten ein freier Mann oder mausetot sein würde. Für jemanden, der sich seiner Menschenkenntnis zu rühmen pflegte, war eine derartige Ahnungslosigkeit eine unmögliche Situation.
Andererseits hatte er es nicht mit einem Menschen zu tun, sondern mit einer Galdani. Einem jener Wesen, die den Planeten Galdäa bewohnten und keine Ahnung hatten, wer sie in Wirklichkeit waren. Was sie in Wirklichkeit waren. Und sie waren gefährlich, erinnerte er sich. Das betraf nicht nur körperliche Eigenheiten, sondern auch die Psyche dieser Leute, mit der sie umgehen konnten wie mit einer Waffe. Henning Lucas dachte an den verfluchten galdäischen Krieg und an das Kuckucksei, das die Goldenen dem Flottenkommando ins Nest gelegt hatten, als sie ihr Experiment auf Galdäa derart fatal aus den Händen gleiten ließen. Er dachte an die Raumfahrzeuge, die man im Orbit von Galdäa verloren hatte, und an die Anstrengungen, die es erfordert hatte, die Wahrheit über Galdäa und diesen selten dämlichen Krieg mehr schlecht als recht zu vertuschen. Henning Lucas dachte an das private Raumschiff, das für ihn Tag und Nacht bereitstand, und er dachte an den geschützten Weg, über den er dieses Fluchtschiff jederzeit erreichen konnte. Er dachte an seine geheimen Datenspeicher, in denen Aufzeichnungen über den galdäischen Krieg steckten, und er dachte an sein Passwort, das den Zugang zu diesen Dateien versperrte. Und genau an dieser Stelle begann er, sich über seine Gedanken zu wundern.
Er starrte nach wie vor in die düsteren Augen von Ja‘ana K‘jonasoidt Hakon T‘Arastoydt. Jetzt bemerkte Lucas, was er da tat: Er brabbelte halblaut vor sich hin. Was Henning Lucas für seine Gedanken gehalten hatte, die einfach so dahinstolperten, waren laut ausgesprochene Worte gewesen. Und sie waren es jetzt auch. Laut und deutlich. Ohne dass er es bemerkte, hatte ihn diese Galdani in einen willenlosen Zustand versetzt, und er plapperte alle seine Geheimnisse aus. Henning Lucas versuchte voller Verzweiflung, den Mund zu schließen, woanders hinzusehen, wieder die Gewalt über sich zu gewinnen. Es gelang ihm nicht. Die galdäische Hexe hatte ihn unnachgiebig im Griff, hielt ihn fest im Fokus ihrer dunklen Augen. In diesem Blick loderte ein Sog aus schwarzen Flammen, eine Konvergenz von Feuer und Finsternis. Henning Lucas war nicht fähig, sich davon loszureißen.
Er wusste, dass man ihn manipulierte, dass ihn jemand einem Prozess unterwarf, der einer Vergewaltigung nicht unähnlich war. Doch er vermochte sich dagegen nicht aufzulehnen. Er stand neben seinem eigenen Körper, und dessen Mund redete und redete, ohne Unterlass. Jemand Fremdes beherrschte seinen Leib, seine Lungen, seine Stimmbänder und seine Zunge. Die Galdani, ein menschengestaltiges Monstrum, saugte ihn aus. Sie war ein Geschöpf der Finsternis, das wusste Lucas. Sie war eine perfekt konstruierte Waffe, und er hätte es nie für möglich gehalten, dass er selbst zum Opfer dieser Waffe werden würde. Geheimnisse und Daten flossen aus seinem Hirn wie aus einem undichten Schlauch, und zugleich gingen Selbstachtung und Mut den Bach hinunter. Henning Lucas wand sich und zappelte im Griff eines übermächtigen Willens. Was auch immer diese Galdani mit alldem anfangen würde, es würde die Welt verändern, in der Henning Lucas es sich so schön eingerichtet hatte. Irgendwo im Hintergrund seines vor Entsetzen gelähmten Bewusstseins tobte ein Mann vor Wut und hämmerte Fäuste gegen die Wände eines unsichtbaren
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