Galgentod
setzte sich auf. Die Sonne schien bereits am strahlend blauen Himmel.
Oh Gott! Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Wie spät war es? Er musste zur Arbeit.
Mit einem Satz gelangte er ins Nebenzimmer, zog sich hastig seinen Anzug an, lief in die Küche, wo ein Waschbecken und ein Spiegel waren, um sich dort für den Tag frisch zu machen. Sein Anblick erschreckte ihn. Er hatte nicht gut geschlafen und das sah man seinem Gesicht auch an. Eingefallene Wangen, graue Gesichtsfarbe – noch grauer als seine Haare, die wirr vom Kopf abstanden.
Da reichte ein dünner Wasserstrahl nicht. Mehr gab der Wasserhahn aber nicht her, denn die Leitungen waren vermutlich zu dreiviertel schon zugerostet. Also begnügte er sich mit dem Wenigen und versuchte, aus sich einen ansehnlichen Kerl zu machen. Was er erreichte, deprimierte ihn nur noch mehr.
Er verließ sein Häuschen – sein Reich, warf einen Blick nach nebenan, ob Linus Kalkbrenner da war. War er nicht. Schade. Gerne hätte er sich mit ihm ausgetauscht. Im Zickzack passierte er die Hecken und Sträucher, die immer dichter über den mit Platten ausgelegten Weg wuchsen und deren Dornen immer gefährlicher wurden.
Auf der Dorfstraße angekommen, galt sein erster Gang dem Zeitungsrohr an Mirnas Haus. Mirna war nicht zuhause, das erkannte er sofort. Sie hatte sich verändert. Wenn er es sich genau überlegte, seit wann ihm das übermütige Verhalten an ihr auffiel, kam ihm die Antwort prompt: Seit Bertram Andernachs Tod. Das war gut so. Mirna sollte immer so lebensfroh bleiben, wie Fred sie kannte. Seit sie beim Abitur durchgefallen war, hatte sie der Lebensmut verlassen. Das hatte Fred innerlich geschmerzt. Aber jetzt gab es für Mirna eine zweite Chance.
Er zog die Zeitung aus dem Rohr und ein Artikel prangte ihm in dicken, fetten Buchstaben entgegen: »Lehrerin hat auf der Teufelsburg den Galgentod gefunden.«
Das las sich richtig gut. Fred schmunzelte. Galgentod! Es klang nach Grausamkeit, nach Hinrichtung, nach Folterqualen. Leider gab es von dieser Leiche keine Fotos. Schade, dachte Fred grimmig. Sie hat wirklich nicht mehr gut ausgesehen. Das wäre ein Sensationsfoto geworden. Schade, dass er sich mit technischen Geräten wie Fotoapparaten nicht auskannte. Aber Hauptsache war doch, dass Mathilde Graufuchs keine Schüler mehr quälen konnte.
Zufrieden machte sich Fred auf den Weg.
Erst als er die Felder erreichte, die bereits in der Hitze der Sonne schmorten, kam in ihm die Frage auf, ob die Teufelsburg von der Polizei schon freigegeben worden war. Es könnte durchaus sein, dass er gar nicht arbeiten musste. Hoffentlich hatte die Fördergemeinschaft der Teufelsburg dafür gesorgt, dass seine Termine abgesagt wurden. Sonst kämen diese Menschen umsonst und Mathilde Graufuchs hätte es sogar noch nach ihrem Tod geschafft, andere Menschen zu ärgern.
Während er weitermarschierte, tauchte das Gesicht des Hauptkommissars Jürgen Schnur vor seinem geistigen Auge auf. Die lebhafte Erinnerung daran, wie er einen intelligenten Blick aufsetzte, aber nichts kapierte. Dieser Hauptkommissar hielt Fred für unschuldig. Das hatte er deutlich gespürt. Freds Gesicht verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen, das sich erst wieder verflüchtigte, als er den steilen Berg erklomm.
Oben angekommen sah er genau das, was er befürchtet hatte: Die Teufelsburg war gesperrt. Ein uniformierter Polizeibeamter stand am Eingang und ließ ihn nicht eintreten. Auch, nachdem Fred erklärt hatte, wer er war, blieb der Beamte stur.
Macht nichts, dachte Fred, kehrte um und suchte sich einen Baumstumpf in der Nähe. Dort schlug er die Zeitung auf und las den gesamten Artikel über den Leichenfund. Doch diesem Artikel gelang es innerhalb kurzer Zeit, seine gute Laune zu verderben. Kein Wort über den Zustand der Leiche. Kein Wort darüber, was für eine Hexe Mathilde Graufuchs war – im Gegenteil, als verantwortungsbewusste Lehrerin wurde sie hingestellt. Fred würde am liebsten seinem Impuls nachgeben und die Zeitung in tausend Fetzen reißen. Wie konnten diese Reporter nur so unverschämt sein?
Er schaute auf und sein Blick fiel wieder auf den Polizeibeamten, der wie ein Zinnsoldat am Eingang zur Teufelsburg stand und alle am Passieren hinderte.
Warum sinnlose Energie verschwenden, indem er die Zeitung zerriss, dachte sich Fred. Sogar die Reporter würden noch dahinter kommen, dass es kein Zufall war, dass gleich zwei Lehrer einer Schule ermordet worden waren.
Wenn nicht, gab es immer
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