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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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neuen und viel stärkeren Mannschaft ein Gesicht zu geben, konnte Beckenbauer nicht ahnen. Vorweg: Mit dem Potenzial von 1994 hätten wir Weltmeister werden müssen .
    Von der deutschen Wiedervereinigung hatte ich in Italien kaum etwas mitbekommen. Mehr als das, was die italienischen Zeitungen berichteten, wusste ich nicht. Aber nun galt es, der Welt zu zeigen, was wir wirklich gemeinsam draufhaben. Und zwar am 19. Dezember 1990. In Stuttgart, gegen die Schweiz. Matthias Sammer durfte ran und Andreas Thom. Der Neu-Leverkusener schoss sogar das 3:0 beim 4:0-Erfolg. Auch Ulf Kirsten und Torwart Perry Bräutigam gehörten zum Kader. Vier neue Leute also. Vor dem Spiel kam Berti Vogts zu mir und sagte, dass er mich und Andreas Brehme im Quartier auseinanderlegen wollte, damit ich mich als Kapitän ein bisschen um Matthias Sammer kümmern konnte. Jeder Ossi durfte zu einem Wessi aufs Zimmer, das war Integration. Matthias sieht zwar älter aus, aber er ist zehn Jahre jünger als ich. Wenn ich ihn heute so reden höre mit seinem Fachwissen, denke ich, da steht ein anderer Mensch vor mir. Vor zwanzig Jahren hat er sich unter die Bettdecke verkrochen und in zwei, drei Tagen kein Wort mit mir geredet. Er hat höchstens mal genickt, wenn ich ihn etwas gefragt habe. Er war schüchtern und genant.
    Matthias spricht tatsächlich ab und zu über unsere kurze Zeit als Zimmergenossen. Irgendjemandem erzählte er von der Telefoniererei im Hotel, eine Anekdote, die mir völlig entfallen war. »Du hast die ganze Zeit das Telefon benutzt. Warum muss ich die Hälfte der Rechnung zahlen?«, soll er mich damals gefragt haben, als es ans Auschecken ging. Und ich erwiderte angeblich: »Weil es so ist.« Damals vielleicht ein bisschen grob, im Nachhinein aber schon ein bisschen lustig.
    Fremd waren wir uns allerdings nie, es gab keine Blockbildung. Wir nahmen die Fähigkeiten der »Ossis«, die sie ja auch schon in ihren neuen Clubs wie Bayer Leverkusen oder dem VfB Stuttgart unter Beweis gestellt hatten, ernst. Wir hatten Respekt. Und auch das Ausland wurde aufmerksam. Wenig später wechselte Matthias Sammer ja sogar zu mir nach Italien. Nachdem Klinsmann Inter Mailand verlassen hatte, Andy Brehme keinen Vertrag mehr bekam und ich mich verletzte, sagte Matthias bei seiner Vorstellung in Mailand zu mir: »Lothar, ich hoffe, dass du noch bleibst, damit ich zumindest noch mit einem Deutsch sprechen kann.« Drei Monate später war auch ich weg.
    Matthias Sammer halte ich heute für einen der wichtigsten Männer im deutschen Fußball. Bevor er im Sommer 2012 als neuer Sportdirektor zum FC Bayern wechselte, kümmerte er sich – ebenfalls im Amt des Sportdirektors – um die DFB-Nachwuchsförderung. Nach der verkorksten EM 2000 hatte beim DFB ein Umdenken eingesetzt. Man verpflichtete jeden Profiverein, ein Leistungszentrum zu betreiben. Seitdem haben die deutschen Clubs Hunderte Millionen Euro in den Aufbau ihrer Talente gesteckt. Die Fußballinternate und die Talentförderung, die Sammer ja noch aus der DDR kannte, haben sich als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. Das haben die Vereine inzwischen auch begriffen. Talente schon im frühen Alter von professioneller Hand auszubilden, nutzt nicht nur der eigenen Nationalmannschaft – darum ist ja deren Altersschnitt stark gesunken –, sondern auch den Vereinen selbst, die viel weniger in teure Einkäufe investieren müssen. Allein das Internat des FC Bayern hat Profis wie Lahm, Schweinsteiger, Müller oder Badstuber zutage gefördert. Das Leistungszentrum von Borussia Mönchengladbach, das 2011 von der Deutschen Fußball Liga ausgezeichnet wurde, brachte Talente wie Marin, ter Stegen, Jantschke oder Hermann hervor. Über allem: Matthias Sammer. Er legte in großen Teilen das Fundament für den Erfolg, den Jogi Löw heute erntet.

ALS WELTSPORTLER AUF DEM ZENIT
    In Italien war ich mit einem wahnsinnigen Selbstvertrauen in die neue Saison gegangen. Der Erfolg ließ meine Schultern breiter werden, und irgendwann merkte ich: »Mir kann keiner was.« Als Bestätigung für meine Leistungen im Verein und während der WM wurden mir in den Folgemonaten einige Preise überreicht: Deutschlands Fußballer des Jahres, Europas Fußballer des Jahres, Weltfußballer des Jahres. Die Anerkennung war riesengroß. Vorher hatte man noch gespottet, dass Matthäus in wichtigen Spielen versagen würde, aber wenn ein Kapitän seine Mannschaft zur Weltmeisterschaft führt, kommen auch die Kritiker irgendwann ans Ende ihres

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