Ganz oder gar nicht (German Edition)
Gut, immerhin musste ich nichts zahlen. Ich also wieder rein in den Stau. Als der Polizeiwagen hinter mir außer Sichtweite war, zog es mich wieder nach rechts auf den Standstreifen. Dieses Mal schaffte ich rund sechs Kilometer, als vorne der nächste Streifenwagen auftauchte. Ich wieder ab nach links. Wieder wurde ich gefunden, rausgeholt und kontrolliert. »Sie wissen, dass Sie nicht über den Standstreifen fahren dürfen, Herr Matthäus?« Die Antwort hatte ich längst parat. Nur steigerte ich diesmal die Dramatik. »Ja, natürlich, aber ich muss dringend um 14 Uhr in Rimini sein, da warten 300 bis 400 Inter-Fans bei einer Veranstaltung auf mich. Und wenn es um die Fans meines Vereins geht, tue ich alles, um sie nicht zu enttäuschen.« Da näherte sich der Polizeiwagen von der ersten Kontrolle. Die beiden besprachen sich, der zweite Beamte übergab dem ersten meine Papiere, und ich wurde sehr deutlich gebeten, dessen Wagen zu folgen. Mit Blaulicht legten wir fünf, zehn, zwanzig, dreißig Kilometer zurück. Er fuhr einfach immer weiter, nahm keine Abfahrt, hielt auf keinem Parkplatz. In was für einem Knast würde er mich bloß abliefern? Als der komplette Stau passiert war, gab er mir ein Zeichen, rechts ranzufahren. Er händigte mir meine Papiere aus und gab mir einen Zettel mit seiner privaten Postadresse. »Ich würde mich freuen, wenn Sie mir ein Trikot von Inter Mailand mit den Unterschriften der ganzen Mannschaft zuschicken würden. Ich hoffe, Sie sind jetzt rechtzeitig bei Ihren Fans. Eine schöne Fahrt noch, Herr Matthäus.«
MEIN GOTT, DAS KREUZBAND!
In Mailand war es bereits 1991 mit Trapattonis erneutem Wechsel zu Juventus Turin ungemütlich geworden. Corrado Orrico, ein Trainer aus der zweiten Liga, durfte sich auf dem Trainerposten versuchen. Während uns sein Co-Trainer beim Morgentraining um acht Uhr laufen ließ, saß er in kurzer schwarzer Turnhose, weißem ärmellosem T-Shirt und Badeschlappen auf einem Stuhl, wie er sonst nur um Swimmingpools herumsteht, und rauchte einen Zigarillo. »Wow, was für ein Typ!«, dachte ich mir. Wir kamen gut miteinander aus, aber er erreichte die Mannschaft nicht. Inter Mailand war eine Nummer zu groß für den Mann aus der Toskana.
Wir spielten eine durchwachsene Saison, wir erreichten noch nicht mal mehr die UEFA-Cup-Plätze. Vielleicht waren einige Spieler auch ein wenig satt von dem Erreichten. Die Saison erlebte ihren negativen Höhepunkt bei dem verhängnisvollen Heimspiel am 12. April 1992 gegen Parma. Der Rasen in Mailand war eigentlich immer mies, so auch an diesem Tag. Selbst neu ausgerollter Belag war schon nach vier Wochen wieder hinüber, weil zu wenig Sonne ins Stadion fiel und er von gleich zwei Mannschaften malträtiert wurde. Es kam zu einem Zweikampf, es gab einen Pressschlag mit dem Gegner, und als ich wieder aufkam, trat ich in eines der Löcher im Rasen, knickte links weg, verdrehte mir das Knie. Ein kurzer Schmerz, und ich merkte, dass es nicht mehr stabil war. Ich wusste sofort, dass etwas Schwerwiegendes passiert sein musste. Mein Kreuzband war gerissen.
Ich hatte mir in meinen Vertrag schreiben lassen, dass ich alle anfallenden Untersuchungen in Deutschland durchführen lassen konnte. Am nächsten Tag bin ich zu Dr. Müller-Wohlfahrt nach München geflogen und bekam dort die traurige Bestätigung. Was blieb mir übrig? Ich hatte natürlich von zahlreichen Kreuzbandoperationen gehört, und ich wusste auch, dass zu diesem Zeitpunkt ein Kreuzbandriss für viele das Karriereende bedeutete. In diesem Bewusstsein agierten wohl auch die Mailänder Clubchefs, die mich mit meiner Verletzung völlig allein ließen und den Kontakt annähernd einstellten. Vielleicht dachten sie an die Erfahrung mit David Fontolan, dem Torschützenkönig aus der zweiten Liga, der teuer eingekauft wurde, umgehend einen Kreuzbandriss erlitt und ein ganzes Jahr pausieren musste.
Andererseits wusste ich, dass es Sportler gab, denen innerhalb kürzester Zeit ein Comeback gelungen war. Diese Hoffnung hat mich getragen. Ich schloss mich mit diesen Sportlern kurz: mit dem Skiläufer Marc Girardelli und dem Torhüter Raimond Aumann. Ich war an ihren Erfahrungen interessiert. Beide hatten sich von dem amerikanischen Chirurgen Richard Steadman in Vail, Colorado, operieren lassen. Zehn Tage nach der Verletzung reiste ich mit Norbert Pflippen in die USA und begab mich in die Obhut dieses Professors, der weltweit nur »Kniepapst« genannt wurde und die prominenten
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