Ganz oder gar nicht (German Edition)
Daumenlutschen, Babywiegen, einen solchen Firlefanz hat es damals nicht gegeben. Auch bei der zweiten Geburt hatten wir ein Auswärtsspiel, und zwar in Hamburg. Dieses Mal konnte ich Silvia nicht beistehen. Die Fruchtblase war geplatzt, und Viola kam viel zu früh, nach nur 31 Wochen, mit 1050 Gramm und 31 Zentimetern auf die Welt. Die erste Zeit ihres Lebens verbrachte sie im Brutkasten. Es war ein großes Zittern und Bangen, nach sieben Wochen gab es Entwarnung. Die Geburt von Loris erlebte ich wieder hautnah. Und Gott sei Dank lief dieses Mal alles nach Plan.
Genauso wenig wie mich eine Scheidung demoralisierte, genauso wenig hat mich eine Geburt beflügelt. Das waren private Momente, die keine Auswirkungen auf den Sport hatten. Ging ich zum Training, fiel immer eine Klappe, und der Fokus war auf den Ball gerichtet. 220 bis 250 Tage pro Jahr war ich für meine Vereine und die Nationalmannschaft unterwegs. Und weil man in den ersten Jahren eines Menschenlebens noch nicht so viele Möglichkeiten hat, sich mit Babys zu beschäftigen, konnten wir in der wenigen Zeit kaum etwas unternehmen. Natürlich habe ich sie gewickelt oder ihnen das Fläschchen gegeben. Natürlich konnte ich ihnen dabei zusehen, wie sie im Hof mit dem Elektroauto herumfuhren. Natürlich haben wir auch hundert Mal »Aristocats« auf Videokassette geschaut. Aber das, wonach wir Männer uns so sehnen, nämlich mit ihnen Fußball zu spielen, schwimmen zu gehen, Ski zu fahren, einen anständigen Film im Kino zu gucken, geschweige denn sich mit ihnen zu unterhalten, das war einfach noch nicht möglich. Ich kann zu meinen Kindern heute nicht sagen: »Hey, ich bin der Vater, der mit euch alles erlebt hat.« Nein, das stimmt nicht ganz. Natürlich habe ich später, als meine Kinder älter waren, viele Wochenenden mit ihnen verbracht, oder wir machten gemeinsam Urlaub. Ich war mit Loris im Robinson Club, mit Viola in Las Vegas und am Grand Canyon oder später mal in einer Patchworksituation beim Skifahren oder auch auf Mallorca.
Die Intensität und Nähe eines gemeinsamen Alltags haben wir jedoch nie erlebt. Ich kam nach Hause, und plötzlich konnten sie stehen. Ein anderes Mal konnten sie ein neues Wort. Ich freute mich, aber gleichzeitig machte es mich traurig, dass ich nicht hautnah miterleben konnte, wie meine Familie sich entwickelte. Und dann folgten die Trennungen von meinen Ehefrauen, die die gemeinsame Zeit mit den Kindern weiter reduzierten. Nach drei bzw. fünf Jahren ging der direkte Kontakt zu Alisa, Viola und Loris verloren. Ich weiß, dass mich meine Kinder sehr vermisst haben.
Freilich tat es auch mir weh, wenn sie mich fragten, wann wir uns wiedersehen würden, und ich wusste, dass das wochenlang nicht der Fall sein würde. In den ersten Jahren war das schwierig für die Kinder zu verstehen. Auch, dass Papa plötzlich eine neue Partnerin hat. Ich hätte gerne intensiveren Kontakt gehabt, richtete deshalb auch für Viola und Alisa zwei große Kinderzimmer ein in meinem Haus am Starnberger See. Anderthalb Jahre standen sie leer. Ich hätte mir gewünscht, meine Töchter aus Kitzbühel rauszuholen, wo sie mit ihrer Mutter lebten und zur Schule gingen. Ich hätte ihnen gerne etwas zeigen wollen, was ich in diesem Alter nie habe erleben dürfen: die Welt zu sehen, rauszukommen von zu Hause. Ähnlich war es bei Loris. Aber ich konnte sie nicht zwingen.
Heute können sie die Abschiede nachvollziehen, weil sie selbst schon einmal Enttäuschungen in der Liebe erlebt haben. Daher machen sie mir heute auch keine Vorwürfe. Wiedergutmachen kann ich nichts. Man kann nicht nachträglich durch Aufmerksamkeiten die Vergangenheit aufbessern. Wenn ich gestern ein Spiel verloren habe, kann ich es morgen nicht mehr gewinnen. Wir müssen das Leben so akzeptieren, aber ich kann daraus lernen.
DIE INTRIGE
Weder gegenüber meinen Kindern und Frauen noch gegenüber meinen Vereinen war ich ein kalkulierender Mensch. Ich bin jemand, der emotional entscheidet, der geradlinig und offen ist – und damit öfter aneckt. Jürgen Klinsmann ist ein ganz anderer Typ. Er denkt über seine Entscheidungen lange nach. Er hat eine Strategie, von der er nicht halblinks oder halbrechts abrückt. Um diese Strategie durchzusetzen, scheute er nicht davor zurück, andere Menschen aus dem Weg zu räumen – oder räumen zu lassen. Jedenfalls ist mir schon damals häufiger zu Ohren gekommen, dass Jürgen hinterrücks den Weg zu den Oberen gegangen ist und sich über mich
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