Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Macht aber nichts, denn bei Kindern ist es sowieso egal, ob sie gesund sind: »Bei Kinderprodukten geht es primär nicht um den Gesundheitsnutzen«, sagt der Marketingmann.
Das ist nun schon sehr merkwürdig, dass die Mütter sich für Ungesundes entscheiden, wenn es um ihre Kinder geht, dass es ihnen plötzlich egal ist, ob das Essen den Kleinen schadet. Irgendetwas muss passiert sein, dass die Mütter plötzlich ihre Instinkte ausblenden, dass natürliche Schutzmechanismen ausgeschaltet werden und die Einstellungen sich so ändern, dass den Kindern plötzlich massenhaft Schaden zugefügt wird.
Als ob eine höhere Macht eingegriffen hätte.
Es war natürlich keine höhere Macht. Es gab auch keine Gehirnwäsche. Es waren nur der nette Herr Hipp zum Beispiel und die anderen Figuren aus der Werbung, denen die Mütter offenbar blind vertrauen, und die Kinder sowieso. Insgesamt 700 Millionen Euro jährlich werden ausgegeben für Werbung für Schokolade und Süßwaren. Allein in Deutschland. Kinder sind einem wahren Trommelfeuer von Werbung ausgesetzt. 20 000 bis 40 000 Werbespots erreichen sie jährlich, hat die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ermittelt. Spitzenreiter in Europa ist regelmäßig Ferrero; der italienische Süßkonzern gibt allein in Deutschland 20 Prozent seines Umsatzes von 1,8 Milliarden Euro für Werbung aus, macht 400 Millionen Euro im Jahr.
Bisher hatte Ferrero vor allem mit dem Gesundheitsargument geworben, etwa der »Extraportion Milch« in der Milchschnitte. Und war dafür von Verbraucherschützern heftig kritisiert worden; »Foodwatch« etwa verlieh der Firma dafür den »Goldenen Windbeutel« für die »dreisteste Werbelüge«. In den USA musste der Konzern im Jahr 2012 an die Opfer seiner Werbung 3,3 Millionen Dollar bezahlen (2,5 Millionen Euro), nach einer Klage von Athena Hohenberg aus dem kalifornischen San Diego, Mutter eines vierjährigen Kindes, weil in der Werbung Nutella als »ausgewogenes und schmackhaftes Frühstück« angepriesen worden war.
Hierzulande sind solche Schadensersatzprozesse selten, weil nach Auffassung der Richter und auch der Öffentlichkeit die Menschen selbst schuld sind, wenn sie diesen Werbesprüchen glauben. Für die Food-Konzerne und ihre Werbepoeten ist das eine komfortable Position, denn so haben sie weitgehend freie Hand bei der Formulierung ihrer Versprechen, die sie natürlich in der Annahme verkünden, dass möglichst viele Käufer ihnen glauben.
In einem Fall allerdings war vielleicht der Kontrast doch zu groß zwischen dem Versprechen und den Folgen. Die Eltern klagten deshalb auf Schadensersatz – und gewannen sogar. Der Fall ging in die Rechtsgeschichte ein, als Milupa-Fall. »Sicherheit von Anfang an«. Das hatte der Babymilchkonzern den Eltern in der Werbung versprochen: Und: »Milupa sorgt für Babys Zufriedenheit und ruhige Stunden.« Doch die Kindermilch sorgte weder für Sicherheit noch für Zufriedenheit, sondern für hässliche schwarze Löcher im Gebiss: Karies.
Der kleine Daniel Kottenberg hatte den Milupa-Tee aus der Flasche genuckelt während seiner ersten vier Lebensjahre. Im sechsten Lebensjahr stellte der Zahnarzt fest, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil, »dass die vier oberen Schneidezähne (62, 61, 51, 52) und die unteren mittleren Schneidezähne (71, 81)« von einer »ausgeprägten Glattflächenkaries« befallen gewesen seien. Insgesamt mussten dem Buben drei Milchzähne gezogen werden. Nach Schätzungen von Zahnkundlern litten mehr als 100 000 Kinder damals unter dieser besonders schweren Form von Karies, die als »Nuckelflaschensyndrom« bekannt wurde. Viele von ihnen, sagte ein Zahnarzt, sahen aus »wie kleine Vampire«.
Milupa stritt zunächst alles ab. Ein Zusammenhang mit Karies sei »wissenschaftlich nicht belegt«. Dann wollte die Firma den Fall außergerichtlich beilegen und, es war noch vor Einführung des Euro, 40 000 Mark (21 000 Euro) Schmerzensgeld zahlen. Schließlich verurteilte der Bundesgerichtshof die Firma zu Schadensersatz (Aktenzeichen BGHZ 116, 60 – VI ZR 7 / 91).
Karies ist die erste, ganz offensichtliche Folge des Zuckers, ein Zeichen sozusagen, das er schon beim ersten Körperkontakt setzt, ein Signal, dass hier ein potenter Schadstoff am Werk ist. Der Zucker lässt Bakterien wachsen vom Typ Bifidobacterium dentium, die den Zahnschmelz angreifen. Das gibt dann schwarze Stellen, die deutlich zeigen, dass hier etwas faul ist.
In Amerika, dem Land der
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