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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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dieses Viereck zu. Im Saal brannten nur über den Tischen kleine Lampen; ihre Schirme waren nach unten gekehrt, so daß lediglich der Reflex ihres Lichtes auf die Wände traf. In diesem Halbdunkel erblickte ich eine Szene, die meine frühesten Kindheitserinnerungen wach werden ließ. In einem Buch meiner Großmutter hatte ich ein Bild gefunden, dessen rätselhafter Inhalt mich so erschreckte und zugleich in seinen Bann zog, daß ich mich nicht loszureißen vermochte. Meine Großmutter hatte mir das Buch weggenommen und gesagt, solche barbarischen Scheußlichkeiten seien nichts für Kinder. Und nun, zwanzig Jahre später, stand ich auf der Gea in dem halbdunklen Arbeitsraum der Historiker vor dem gleichen, von einem großen, altersschwarzen vergoldeten Rahmen eingefaßten Bild.
    Ich blieb neben Nils stehen. Der Junge schien nicht zu atmen. Was sah er dort, was ging in ihm vor?
    Nacht – die Türme einer fernen Stadt, ein sternenloser Himmel, und auf dem blutbefleckten Erdboden zwei Menschengruppen, die das Licht einer Laterne trennt und scheidet. Die einen, in einer dunkelgrauen, festgeschlossenen Reihe, haben die Köpfe zwischen die Schultern gezogen und halten ein waagerechtes Spalier von kurzen Stäben oder Rohren vor sich hin. Ihnen gegenüber kniet inmitten düsterer, gebeugter, zusammengedrängter Gestalten ein Mann mit wirrem Haar, die Arme weit ausgebreitet. In dieser Armbewegung, in dem begeisterten und zugleich furchtbaren Antlitz sind Leben und Tod vermengt wie das Blut und die Erde zu seinen Füßen. Wenn man diesen Mann nur einmal gesehen hat, dann erscheint er im Traum und kehrt nach Jahren in der Erinnerung wieder, daß einem das Herz stockt.
    Ich legte meine Hand auf die Schulter des Jungen. Er zitterte ebenso wie ich damals in meiner Kindheit, und auch er begriff nichts.
    Auf einmal war der ganze Raum in helles Licht getaucht. Einer der Historiker hatte die Deckenbeleuchtung eingeschaltet. Gleichzeitig erklang die Stimme Ter Haars: „Hast du dieses Bild noch nie gesehen?“
    Das blasse Gesicht des Knaben machte jede Antwort überflüssig. „Was… bedeutet dieses Bild? Was stellt es dar? Was tun diese Menschen mit den anderen?“ stammelte er schließlich.
    Die Historiker traten zu uns. „Es ist ein Werk aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“, sagte der eine, und Moleticz fügte hinzu: „Das sind spanische Bauern, die von einer Abteilung Soldaten gefangengenommen werden,“
    „Das sagt ihm doch nichts!“ rief ich. „Dieses Bild…“
    „Warte!“ unterbrach mich Ter Haar mit einem befehlenden Ton in der Stimme, den ich noch nie bei ihm gehört hatte. „Sag es selbst, Nils! Nur Mut! Was siehst du?“ Nils schwieg. „Traust du dich nicht? Sag es ruhig, sprich es aus. Sag, was du denkst, was du fühlst.“
    „Daß sie sie…“
    „Sprich weiter!“
    „Töten…“
    Als dieses Wort gefallen war, herrschte tiefste Stille im Raum. Dann wandte sich Ter Haar an seine Kollegen. Triumph blitzte in seinen Augen auf. „Habt ihr es gehört?“ fragte er und erklärte dem Jungen: „Der Maler lebte vor eintausenddreihundert Jahren. Er heißt Francisco de Goya, und dieses Bild ist sein bestes Werk: ,Die Erschießung der Aufständischen in Madrid‘. Merke dir seinen Namen. Er war einer der Menschen, die niemals sterben.“
    Als ich am Abend von Ter Haar in meine Wohnung zurückkehrte, verirrte ich mich in dem Labyrinth der Gänge. Ich war von den vielen neuen Eindrücken ermüdet – dieser Tag schien kein Ende nehmen zu wollen – und gelangte schließlich in eine geräumige Galerie, die zum Garten der Gea führte. Ich setzte mich auf eine der Bänke, die zur Rast einluden. Hinter der Glaswand, dicht unter mir, wiegten Fichten mit dunkelgrünen, silberschimmernden Nadeln lautlos ihre hohen, schwarzen Wipfel. Plötzlich vernahm ich eine vertraute Stimme. Anna Ruys kam lächelnd auf mich zu. Sie überredete mich, mit ihr eine videoplastische Vorstellung, eine Tragödie, zu besuchen. Wir begaben uns in den Saal. Das Drama, das gezeigt wurde, war unerhört lang. Es hatte die Erlebnisse einer Forschungsexpedition zum Inhalt und spielte anfangs auf dem Saturn, dann auf dem Jupiter. Die Landschaftsbilder waren wirklich hervorragend. Besonders ein Bild, das einen Sturm auf dem Ammoniakozean darstellte, blieb mir im Gedächtnis haften. Es war eine wahre Orgie von gelblichen, braunen, schwarzen und goldenen Farben. Ich atmete aber erleichtert auf, als wir den Saal verließen.
    „Furchtbar! Ich

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