Gast im Weltraum
teilnimmst.“ „Ich fürchte, du hast schlecht getroffen, gerade mich zu fragen.“ Der Astrogator lächelte. „Ein Physiker würde gewiß antworten: ,Weil ich die Atomreaktion anderer Sonnen kennenlernen will.‘ Der Planetologe würde wohl antworten: ,Weil ich die Struktur von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems erforschen will.‘ Der Astrobiologe sucht nach Erscheinungen organischen Lebens im Kosmos. Aber ich – ich kann dir keine solche Antwort geben.“
„Warum nicht? Weißt du denn nicht, weshalb?“
„Doch, natürlich weiß ich es und will es dir auch sagen, obwohl dich meine Antwort kaum befriedigen wird: Weil es Sterne gibt.“ Der Astrogator stand auf. „Hast du Lust, noch ein wenig spazierenzugehen, Doktor? Entschuldige, daß ich so geradeheraus, ohne Umstände, frage. Ich habe aber seit zwanzig Stunden kein Fleckchen frischen Grüns gesehen.“
„Vielleicht möchtest du lieber allein sein?“ fragte ich.
„Wieso denn! Wenn du Zeit hast…“
Der Fahrstuhl brachte uns in die unteren Stockwerke. Ein blauer Abendhimmel spannte sich über dem Garten. Auf der größten Rasenfläche tanzten Kinder im Kreis. Sie hielten sich an den Händen und sangen.
Plötzlich riß sich ein ungefähr fünf Jahre alter Junge los und flog wie ein Ball auf uns zu. Er jubelte laut und umfaßte die Knie Ter Akonians.
„Das ist mein Jüngster“, erklärte der Chefastrogator, nahm den Kleinen auf den Arm und schaukelte ihn. Da erblickte er Uteneut, der eben vorüberkam, reichte mir das Kind und trat auf den Ingenieur zu. Ich wiegte den Jungen, so gut ich es vermochte; aber der Kleine war mit meinen Bemühungen offenbar nicht zufrieden, er begann zu strampeln und verlangte, auf die Erde gestellt zu werden.
„Ich kann dich auf den Rasen stellen, aber nicht auf die Erde. Denn wir sind nicht mehr auf der Erde. Weißt du das nicht?“ fragte ich und ließ ihn zu Boden gleiten. Er lief nicht zu seinen Spielgefährten zurück, sondern blieb vor mir stehen. Anscheinend hatte ich ihn in seinem Stolz verletzt. Er bohrte mit dem Absatz im Sand und antwortete schließlich: „Das weiß ich. Ich habe es nur so gesagt. Wir sind auf der Gea und fliegen.“
„Sieh mal an. Und weißt du auch, wohin wir fliegen?“
„Ja. Zu einem Stern.“
Was für ein komisches Gespräch war das doch! Ich vermochte eine letzte Frage nicht zu unterdrücken: „Weißt du vielleicht auch, wo dieser Stern ist?“ „Natürlich.“
„Na, wo denn?“
„Dort, wo ich schon groß sein werde, wenn wir hinkommen.“
Als der Knirps mit diesen Worten ziemlich alles gesagt hatte, was über diese Sache zu sagen war, ließ er mich stehen und gesellte sich wieder zu seinen Spielgefährten, die unermüdlich im Chor ein und dieselbe Strophe des Kinderliedes sangen:
„Der Kuckuck ruft,
der Kuckuck ruft
über dem Bach,
über dem Bach…“
Ich hörte ihnen zu, und mir fiel ein, daß wir auf der Gea keine Vögel hatten. Dieser im Grunde müßige Gedanke aber war der Anlaß, daß ich Ter Akonian, als wir uns nach einem langen Spaziergang im Dunkel vor dem Aufzug verabschiedeten, impulsiv eine Frage stellte, die ich gleich bereute: „Auf dem Schiff sind viele Kinder. Das wundert mich eigentlich. Hast du nicht gezögert, deine Kinder mitzunehmen?“
Ter Akonians Miene wurde ernst, soviel ich im Halbdunkel erkennen konnte. Er ließ meine Hand los und antwortete langsam: „Die älteren haben es selbst gewünscht. Und mein Jüngster… ich habe tatsächlich geschwankt. Ich dachte: Er kann noch nicht selbst entscheiden. Ich raube ihm die glückliche Jugend auf der Erde. Und die Gefahren… ja… Aber wie sollte ich ihm in die Augen sehen, wenn ich zurückkomme?“
Die nächsten beiden Tage und Nächte vergingen ohne erwähnenswerte Ereignisse. Unser Raumschiff steigerte unablässig seine Geschwindigkeit und raste, von Radarwellen gelenkt, durch den Raum. Die Muscheln der Reflektoren fingen die Wellen wachsam auf und warnten die Gea vor drohenden Zusammenstößen. Die Astrogatoren hatten unser Schiff aus der Ekliptik herausgesteuert, da man auf dieser Ebene bekanntlich die meisten Meteorschwärme trifft. Die Gea lag noch nicht auf ihrem endgültigen Kurs. Der Flug zum Jupiter wurde als letzte Probe vor dem eigentlichen Flug in den Weltraum betrachtet. Es war geplant, alle technischen Einrichtungen im Gravitationsfeld des größten Planeten unseres Sonnensystems einer Belastungsprobe zu unterziehen. Deshalb flogen wir verhältnismäßig nahe an ihm
Weitere Kostenlose Bücher