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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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vorüber. Den geringsten Abstand sollten wir am Morgen des neununddreißigsten Reisetages erreichen.
    Viele von uns waren auf dem Promenadendeck versammelt und beobachteten die gewaltige Kugel, auf die wir zuschwebten.
    Vier von den zwölf Jupitermonden waren sichtbar. Der helle Jo stand uns am nächsten. Er bewegte sich rasch fort und warf seinen Schatten auf die gigantische, dunkelgestreifte Wölbung des Planeten. Vor unseren Äugen ging gerade die nördliche Halbkugel auf. Oberhalb des Äquators erkannten wir den „Roten Fleck“ der mittelalterlichen Astronomen, der in der neuen Nomenklatur „Fliegender Kontinent Gondwan“ genannt wird. Durch die dichte Atmosphäre hindurch zeichneten sich seine rissigen Konturen ab, die von Rauch- und Dampfwolken verwischt und von Methan- und Ammoniakwellen überflutet werden. Das sonst dunkle Promenadendeck – die Sterngalerie, wie es auch genannt wird – war nun in ein eigenartiges, von unten her einfallendes Halblicht getaucht, das vom Jupiter kam. Der Planet breitete sich unter der Gea als riesige, gelbrote Schale mit nach oben gebogenen Rändern aus; sie war mit einer brodelnden, gischtenden Gasmasse gefüllt, durch die sich rasende Wirbel stürme ihren Weg bahnten.
    Von dem zweiten sichtbaren Mond Europa, der hoch über uns leuchtete, glitt eine Kette schwarzer Rosenkranzperlen unablässig zum mittleren Teil des Planeten hinab. Es waren automatisch bediente Raketen, die auf dem „Fliegenden Kontinent Gondwan“ Untersuchungen über abbauwürdige Stoffe vornahmen. Durch die Ferngläser sahen wir eine Rakete nach der anderen in das Wolkenmeer tauchen, eine Zeitlang als immer kleineren, dunklen Punkt durch den gelblichen Dunst schimmern und verschwinden. Eine Handvoll Menschen, die in Druckluftkammern auf dem Jupitermond Ganymed hausten, beaufsichtigten die Arbeiten. Noch keines Menschen Fuß hatte die Oberfläche des Jupiters betreten, da seine Gashülle in ihrer untersten Schicht einen Druck von Mülionen Atmosphären ausübt, dem kein Skaphander gewachsen wäre.
    Die Gea kreuzte einige Stunden lang über dem Jupiter. Allmählich leerte sich das Promenadendeck. Auch ich begab mich, von dem stets gleichen Anblick ermüdet und gelangweilt, in den Erholungsraum, der nur rund fünfzig Schritt von der Sterngalerie entfernt ist. Wir nennen ihn „Barocksaal“. Ein barbarischer, bedrückender Luxus kennzeichnet ihn. In die sechs reichvergoldeten Wände sind Nischen eingelassen, in denen die weißen Marmorstatuen alter Götter stehen. In dem glatten Fußboden spiegeln sich mächtige Kristalleuchter, und von der niedrigen Decke blicken Hunderte rosiger, geflügelter Kindergestalten herab. Man kann dort lange sitzen und die eigenartig schönen waldigen, bergigen Landschaften und spielende Fabelwesen in den Deckenfeldern betrachten, die unsere Maler mit künstlich nachgedunkelten Farben geschaffen haben. Diese Bilder sind die Kopien berühmter Museumsstücke. Aber der Beschauer ermüdet bald; denn der Blick findet zwischen all den versilberten und vergoldeten Leisten mit ihren Spitzen und winzigen Flachreliefs keinen Ruhepunkt. In jeder Wand ist ein hoher Spiegel eingelassen, der den flimmernden und schimmernden Reichtum an Kunstgegenständen noch vervielfältigt. Die Mitte des Saales ist leer, nur an den Seiten stehen große Sessel mit harten Holzschnitzereien als Lehnen, die kämpfende Löwen und Adler darstellen. Die Beine sind wie Krallen oder Hufe geformt. Die Sessel taugen zu allem, nur nicht zum Sitzen. Sonderbare Leute müssen ihre Schöpfer gewesen sein! Diese Unbequemlichkeit muß man aber ergeben in Kauf nehmen; denn die ganze Einrichtung dieses Saales ist, wie die Historiker behaupten, das getreue Abbild eines Saales im Palast eines längst vergessenen barbarischen Monarchen.
    Eine Zeitlang glaubte ich, in dem Raum allein zu sein. Aber dann sah ich, daß jemand mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor einer der marmornen Götterstatuen stand. An dem schmalen Kopf und den abstehenden Ohren erkannte ich Moleticz. Auf einmal kam Nils Yrjöla hinter dem Sockel des Bildwerkes hervor. Er steckte seine Nase so tief in einen Taschenempfänger, war so in seine Lektüre versunken, daß er mit dem Historiker zusammenstieß. Minutenlang baten sie einander um Entschuldigung. Wären nicht ihre Anzüge unserer Zeit angemessen gewesen, dann hätte man sie für Höflinge halten können, die vor beinahe zweitausend Jahren gelebt haben und aus dem Grab gestiegen sind, um sich in

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