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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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oft und gern zitiert wurde, inhaltlich aber an der Realität vorbeiging. Zutreffend war daran lediglich die Beschreibung »parteilos«. Ansonsten war und ist Joachim Gauck ein gestandener Konservativer. Sein Verständnis von Freiheit bezog sich explizit auch auf die Wirtschaftsordnung. Er war ein Verfechter des Leistungsprinzips. Jemand, der vor zu viel Fürsorge durch den Staat warnte. Ein Anhänger der 348 sozialen Marktwirtschaft, der regelmäßig Positionen vertrat, die den Marktkräften den Vorrang vor planwirtschaftlichen Gedanken gaben.

Die zweite Kandidatur 2012
    Im Februar 2012 hatte die Bundesrepublik Deutschland erneut ein Problem mit ihrem Staatsoberhaupt. Zum zweiten Mal hintereinander war ein Bundespräsident von seinem Amt zurückgetreten. Nach Horst Köhler war es jetzt Christian Wulff, der nach nur anderthalbjähriger Amtszeit das Handtuch geworfen hatte. Vorausgegangen war eine wochenlange öffentliche Diskussion über finanzielle Unregelmäßigkeiten in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident. Als die Staatsanwaltschaft schließlich Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsnahme gegen ihn einleitete, gab Wulff seinen Rücktritt bekannt.
    Wie zwei Jahre zuvor einigten sich SPD und Bündnis 90/Grüne erneut auf Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Anders als 2010 passierte daraufhin etwas, was die Sachlage grundlegend änderte. Die FDP , der Koalitionspartner in Angela Merkels CDU -Regierung, sprach sich überraschend ebenfalls für Gauck als neuen Bundespräsidenten aus. Die Kanzlerin wurde von diesem Vorstoß der Liberalen überrumpelt. Zunächst versuchte sie, die Freien Demokraten energisch umzustimmen, und drohte sogar mit dem Bruch des Regierungsbündnisses, um Gauck zu verhindern. »Eins ist klar: Gauck wird's nicht«, ließ sie das CDU -Präsidium in einer Telefonkonferenz wissen. Einer der Gründe für ihre eigene hohe Akzeptanz in der Bevölkerung lag darin, dass sie selbst einen präsidialen Führungsstil pflegte. In dieses Regierungskonzept passte kein Staatsoberhaupt, das über das Potenzial verfüg 349 te, ihr diese Rolle streitig zu machen. Merkel konnte durch die Wahl Gaucks nichts gewinnen, aber einiges verlieren.
    Erst als sie erkannte, dass die FDP nicht nachgeben würde, wechselte sie die Strategie und machte sich den Kandidaten Gauck notgedrungen ebenfalls zu eigen.
    Am Abend des 19. Februar trafen sich die Parteichefs der im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken bei Angela Merkel im Kanzleramt. Gauck solle es werden, verkündete die Kanzlerin sogleich, sie werde ihn nun anrufen. Der Kandidat saß gerade im Flugzeug auf dem Weg von Wien nach Berlin, so dass Merkel nur auf seine Mailbox sprechen konnte. Schließlich kam ein Gespräch zustande, als Gauck auf dem Weg vom Flughafen nach Hause im Taxi saß. Der Dialog zwischen der Kanzlerin und dem designierten Bundespräsidenten dauerte dreißig Sekunden. Dann bekam der Taxifahrer ein neues Ziel: Willy-Brandt-Straße 1, Bundeskanzleramt. Gauck sagte – wohl mehr zu sich selbst als zum Fahrer – »Sie fahren den neuen Bundespräsidenten«. Der Chauffeur glaubte, Gas geben zu müssen. »Wegen mir müssen sie nicht rasen«, beruhigte ihn sein Fahrgast. Als Gauck, sichtlich ergriffen, im Kanzleramt erschien, gab er jedem der Anwesenden die Hand, erklärte sich bereit, die Kandidatur anzunehmen, wobei ihm die Augen vor Rührung feucht wurden. Wenig später saß er eingerahmt von Kanzlerin und den Parteichefs von CSU , Grünen, FDP sowie SPD im Pressesaal des Kanzleramtes und wurde der Öffentlichkeit als designierter Bundespräsident vorgestellt. »Ich komme aus dem Flieger«, sagte er, »ich bin noch nicht mal gewaschen. Es schadet auch nix, dass Sie sehen, dass ich überwältigt und ein wenig verwirrt bin.« Alle lachten, auch die Kanzlerin.
    Nach seiner Nominierung sagte Gauck fast alle Termine in seinem bis zum Jahresende komplett ausgebuchten Ter 350 minkalender ab, um sich bei seinen Wählern in der Bundesversammlung vorzustellen. Er besuchte die Bundestagsfraktionen, die Parteizentralen der im Bundestag vertretenen Parteien und präsentierte sich vor einigen Landtagen.
    Unterstützt wurde er vom selben Team, das ihm auch 2010 zur Seite gestanden hatte: David Gill, Helga Hirsch, Andreas Schulze, Johannes Sturm. Letzterer erinnerte sich: »2012 war nicht so fröhlich wie 2010. Gauck war nachdenklicher. Er kannte schon den einen oder anderen Fallstrick,

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