Gebrauchsanweisung für Schwaben
Nürtingen aufgewachsene Sprachgenie, das die Herrlichkeit der Welt und der Götter besang – und am praktischen Leben so trostlos scheiterte. Schelling, schon mit 23 Jahren Professor in Jena, holte seinen älteren Freund Hegel nach, und beide begaben sich, wenn auch auf unterschiedlichen Denkpfaden, auf die Suche nach dem Absoluten. Für Schelling war Gott die »absolute Identität, ob des Geistes, der Natur oder der Kunst« und alles Wirkliche galt ihm als »Selbstoffenbarung Gottes.« Das Stift wirkte nach.
Hegel, der nach einer unehelichen Vaterschaft aus Jena flüchtete und erst nach Jahren und Umwegen in Berlin eine Professur erhielt, nannte dieses Schellingsche Absolute »die Nacht, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind«. Mit seinem Kernsatz, wonach alles Wirkliche vernünftig und alles Vernünftige wirklich sei, wurde er zu einer Art preußischem Staatsphilosoph. Seine dialektische Denkmethode – These, Antithese, Synthese – sollte auch für die Geschichte gelten, die in Katastrophen voranschreite. Schwäbische Rotweintrinker praktizieren eine simplere Version: Der Trollinger existiert in seiner ursprünglichen Selbständigkeit, ist aber nur selbständig, weil er sich vom Lemberger unterscheidet. Doch diese Negation hebt sich in der Synthese zum Trollinger-Lemberger auf. Kein Wunder, daß diese Mischung noch immer von vielen Schwaben bevorzugt wird.
Hegel ist auch von den meisten seiner Landsleute nicht verstanden worden – und schon gar nicht von seinem Berliner Dozentenkollegen Arthur Schopenhauer, der ihn einen »unwissenden Scharlatan« mit »Bierwirts-Physiognomie« nannte. Trotzdem ist das wiederhergestellte Hegelhaus in der Tübinger Straße in Stuttgart ein Wallfahrtsort. Auch die Persiflage »Der absolute Stiefel«, 1844 in Stuttgart erschienen, wurde wieder aufgelegt. Darin bekommt ein hegelkundiger Schustergeselle Ärger mit seinem Meister und der Polizei, weil er über eine Probearbeit sagt: »Der Begriff des Stiefels ist in mir; was im Begriff ist, hat allgemeines Dasein, während der besondere Stiefel, als bloßes Ding, nur eine geistlose Wirklichkeit hat. Aus dem allgemeinen Sein den Stiefel ins besondere Sein hinabzuziehen, was ein verkehrtes Abstrahieren wäre, ist Kinderspiel.«
Daß Hegel den Schwaben in sich nicht verleugnen konnte, zeigte sich schon daran, daß er sich über die hohen Preise für Lebensmittel und Wohnungsmieten in Berlin ärgerte und daß ihm die vielen Schnapsboutiquen lästig waren. Er selbst hielt es lieber mit dem Rotwein. Alljährlich entkorkte er am 14. Juli, zur Feier der Französischen Revolution, ein besonderes Fläschchen und trank es notfalls allein aus. Allerdings, Trollinger-Lemberger gab es damals noch nicht.
Und dann die Theologiestudenten, die in die Literatur abwanderten! Zu nennen wären Wilhelm Waiblinger, das gescheiterte, in Italien jung gestorbene Genie, das alle Anlagen zum Hippie hatte. Gustav Schwab, der Vater der Heldensagen, Wilhelm Hauff, der im Alter von 25 Jahren verglühte, dessen Märchen, dessen historischer Roman »Lichtenstein« und dessen »Wirtshaus im Spessart« sein kurzes Erdenleben überdauert haben. Der erwähnte David Friedrich Strauß, der mit seinem revolutionären »Leben Jesu« einen Skandal entfachte, weil er die Wunder Christi als ewige Wahrheiten, nicht aber als historische Fakten interpretierte. Sapperment, da bebten die Pfarrhäuser, da wackelten die Kirchtürme im Land!
Turmhahn und Schöne Lau
Der begabteste und sensibelste dieser Poeten war Eduard Mörike, 1804 in Ludwigsburg geboren. Als scheuer Hypochonder scheiterte er im Pfarrer- und im Lehrerberuf, doch seine biedermeierliche Dichtkunst machte alle seine Defizite wett. Ob »Der alte Turmhahn von Cleversulzbach«, ob »Mozarts Reise nach Prag«, ob das »Stuttgarter Hutzelmännlein« mit der Schönen Lau und dem »Klötzle Blei« aus dem Blautopf: In Mörike, diesem Maler des Worts, findet sich das schwäbische Gemüt bis heute wieder, besonders nach einem langen Winter: »Frühling läßt sein blaues Band, wieder flattern durch die Lüfte …«
Auch Friedrich Theodor Vischer, 1807 wie Mörike, Strauß und Kerner in Ludwigsburg geboren, war so ein Stiftler, der nicht auf der Kanzel landete, sondern Professor für Ästhetik und Literatur wurde – ewig geplagt von chronischem Schnupfen und Husten, was wohl auf eine damals nicht zu diagnostizierende Pollenallergie hindeutet. In seinem Roman »Auch Einer« hat er der dauernden
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