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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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halbliterweise. Pro Kopf wurden bei Festen sechs Liter pro Mann und Tag gerechnet. Trotzdem fragten manche Schluckspechte hernach vorwurfsvoll, ob es hier eigentlich nichts zu trinken gebe.
    Daß dieser vergorene Rebensaft manchmal ein Rachenputzer, ja ein »Simsenkrebsler« war, ist einem alten Schwank zu entnehmen, den der aus Leutkirch stammende Arzt und Schriftsteller Dr. Owlglass alias Hans Erich Blaich einst erzählt hat. Da pilgerte ein Schwabe nach Italien und bekam den berühmten, molligen Lacrimae Christi vorgesetzt. Weil er den Wein nicht kannte, fragte er den Wirt, welchen Wundersaft er ihm eingeschenkt habe. Es seien »Gottes Tränen«, sagte der. Worauf der Schwabe seine Augen zum Himmel erhob und sprach: »O Gott, warum hast du nicht auch in unserem Ländle geweinet?« Trotz solcher Stoßgebete stimmt, was Manfred Rommel, der Philosoph auf dem Bürgermeisterstuhl, festgestellt hat: »Der Weingenuß gehört neben der Freude an geistlicher Musik zu den wenigen sinnlichen Vergnügungen, die der schwäbische Protestant sich genehmigen darf.«
    Der Schwabenwein, wie er in den Tälern des Neckars, der Rems und der Bottwar, der Murr, der Enz und des Unterlands reift, war nie ein Prestigeprodukt wie die Gewächse von der Mosel, aus Bordeaux oder dem Burgund. Er war eher ein Gegenstand des festen Glaubens und der dokumentierten Heimattreue. Wer ihn trank, nein, schlotzte oder kaute, setzte ein Zeichen der Identifikation: »Der isch wie mir«, hieß es. Sebastian Blau, der hintersinnige Dichter, schrieb dazu: »Man könnte viele unserem Wein und unserem Volkscharakter gemeinsame Züge anfuhren: Er ist nicht leichtsinnig, kein Blender, sondern hat es mehr in sich; er wirft sich nicht jedem Hergelaufenen aufdringlich an den Hals, sondern will verstanden sein.« Er steige nicht so sehr in den Kopf, brenne höchstens im Gemüt. Also ein natürliches Getränk, manchmal herb, ja räs, manchmal sauer, aber reell und ehrlich. Ganz wie seine Produzenten eben.
Ein Schiller im Glas
    Friedrich Theodor Vischer, der Ästhetik-Professor, hat es einst als große Errungenschaft gefeiert: »Unser Klima ist günstig, unser Boden fruchtbar, wir erzeugen Wein und trinken ihn.« Nach einem Besuch in Berlin lobte er Theater und Ballett, rügte aber ein Manko: »… und doch haben sie keinen Wein«. Dabei hat es lange gedauert, bis Württembergs Wengerter dazu zu bewegen waren, keine minderwertigen Sorten wie Elbling und Putzschere mehr anzupflanzen, sondern halbwegs edle Reben. Es fehlte ihnen weniger am guten Willen als vielmehr am milden Klima. Während der kleinen Eiszeit zwischen 1600 und 1900 pflegten die Weinbauern den »gemischten Satz«. Sie pflanzten verschiedene rote und weiße Reben bunt durcheinander und hofften, daß wenigstens die eine oder andere Sorte reifen möge. Das Ergebnis nannten sie ausgerechnet »Schiller«. Allerdings nicht, um den Nationalpoeten zu ehren, sondern um auszudrücken, daß die Flüssigkeit »schillert«, also je nach Jahr zwischen weiß und rötlich changiert. Theodor Heuss, der den kraftvollen Brackenheimer Zweifelberg Lemberger bevorzugte, nannte solche Gewächse »ziemlich brav«, manchmal sogar »unfroh«.
    Ein dreifaches Prosit deshalb auf König Wilhelm I., den Landwirt unter den Monarchen, auf die lernfähigen Agronomen und auf die Pioniere der bald entstehenden Genossenschaften, die im 19. Jahrhundert Ordnung und Qualitätsansätze in den Rebenurwald brachten. Der Trollinger, dieser eher leichte, kupferfarbene Vesperbegleiter, wanderte aus Südtirol ein, der Lemberger kam aus Österreich-Ungarn, wo er noch heute Blaufränkisch oder Kékfrankos heißt; der Spätburgunder hatte, wie der Schwarzriesling, seine Wurzeln in Frankreich. Bei den Weißen errang bald der Riesling die Führungsposition. Und der schwäbische Weinadel machte sich einen Namen weit über die Grenzen des Landes hinaus. Die Erben des Königshauses mit ihrer württembergischen Hofkammer in Ludwigsburg (heute heißt sie »Weingut Herzog von Württemberg«), die Grafen und Fürsten Neipperg, Adelmann, Bentzel-Sturmfeder, Hohenlohe-Öhringen und andere mehr erfreuen sich großer Zuneigung, zumindest was ihre Kreszenzen angeht.
    Die verbesserte Qualität ließ manchen Wengerter und die dazugehörigen Rebensaftfunktionäre allerdings ein wenig übermütig werden. Der Trollinger aus dem landestypischen Vierteles-Henkelglas? Das war plötzlich der beste Tropfen der Welt, mal trocken, mal süffig, mit Rasse und Bodeng’fährtle,

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