Gebrauchsanweisung für Schwaben
jenem Anklang an das jeweilige Terroir. Als er auswärts nicht mehr genügend getrunken wurde, gab es schnellzüngige Ausreden: den gebe man gar nicht her, den trinke man nämlich am liebsten selber.
Erst als Weinkritiker wie der Brite Hugh Johnson Jahr für Jahr monierten, die Württemberger Weinmacher schöpften ihr Potential nicht aus, löste ein Prozeß des Nachdenkens die bisherige Eindünstpraxis im Keller, auch Kurzzeit-Ultrahocherhitzung genannt, ab. Inzwischen keltern nicht nur adelige, sondern auch gutbürgerliche Weinmacher Gewächse von hoher Qualität. Produzenten wie Gert Aldinger in Fellbach, Ernst Dautel in Bönnigheim, Vater und Sohn Ellwanger in Winterbach, Hans Haidle in Stetten, Hans-Peter Wöhrwag in Stuttgart-Untertürkheim und Aufsteiger wie Jochen Beurer, Rainer Schnaitmann, Albrecht Schwegler holen sich reihenweise Preise und Auszeichnungen – und die Hochachtung mancher jener »Vaterlandsverräter«, die bisher eher französische oder italienische Flaschen zu öffnen pflegten. Sogar die Klimaerwärmung zeigt hier positive Seiten; höhere Durchschnittstemperaturen erlauben es neuerdings sogar, Cabernet-Sauvignon, Merlot, Chardonnay und Pinot Gris zu ernten. Das Problem dabei: Die besten Weine tauchen im offiziellen Handel kaum auf, und schon gar nicht auf den Karten der Weinbeizle. Man muß dem Wengerter persönlich seine Referenz erweisen und ihn notfalls auf Knien um ein paar Fläschlein anflehen. Vielleicht gewährt er dann gnädig die Gunst – zu satten Preisen.
Acht Viertel pro Hinterbacken
In den genannten Beizle geht es, rein getränkemäßig, eher rauh, aber herzlich zu. Wobei man aufpassen muß: Eine Weinstube eine »Beiz« zu nennen, grenzt an Rufmord, ein Beizle oder auch Boizle dagegen ist fast so heimelig wie eine familiäre Besenwirtschaft, in der selbstgeernteter Wein so lange ausgeschenkt wird, bis er ratzeputz getrunken ist. Da wird von der Mutter, vom Vater oder der Tochter des Hauses in der Wohnstube Faßwein offeriert – Trollinger meist oder Riesling, und die Späße, die über die blanken Holztische hin- und herfliegen, sind so kernig wie der Inhalt der bauchigen Henkelgläser. Es geht hier weniger um kulinarischen Spitzengenuß, sondern um das Gemeinschaftserlebnis. Diese Tische, an denen auch Schinkenwurst, Schwartenmagen und Preßsack in großen Portionen verzehrt werden, hat ein Kenner einmal »die Feierabend-Festungen der Schwaben« genannt, Bastionen der ungeschminkten Rede, wenn sich die Zungen erst einmal gelockert haben.
Der Dichter Ludwig Uhland hat seinen Landsleuten eine Verhaltensmaßregel für solche Orte mit auf den Weg gegeben: »Wo je, bei gutem altem Wein / der Württemberger zecht, / da soll der erste Trinkspruch sein: / Das gute alte Recht.« Damit erinnerte er an den Tübinger Vertrag von 1514, der nach der britischen Magna Charta die erste europäische Verfassung darstellte. Seither durften die Herzöge keinen Krieg mehr ohne Zustimmung der Landstände erklären. Seither sind die Stammtische Orte der Meinungsfreiheit. Beim dabei eingeschenkten Wein zählen weniger Eleganz und Aromenfülle, als vielmehr Inspiration und Verläßlichkeit. Jeder der Hocker kennt sein persönliches Quantum, seien es vier oder sechs Viertele, die er nach Landesbrauch »auf einem Arschbacken« wegtrinkt. Er weiß: mehr wäre vom Übel. Würde er den durchscheinenden Trollinger durch schwarzrote Alkoholbomben aus Piemont oder dem Rioja-Tal ersetzen, dann drohte schnell ein schwerer »Balla«, ein Granatenrausch. Man ist eben geeicht auf sein »Gewohntes« – auch wenn man sich nachts im Bett mehrfach umdrehen muß, damit einem die kernige Säure kein Loch in die Magenwand brennt.
Niemand muß fließend schwäbisch sprechen, um in solchen rustikalen Stätten der Gastlichkeit willkommen zu sein. Aber ein paar Voraussetzungen sind wichtig. Erstens: Man sollte nicht ungefragt den heiligen Stammtisch besetzen, das wäre ein Sakrileg. Zweitens: Man sollte zuhören können und von der Küche nichts Unmögliches verlangen – zum Beispiel Gänseleber oder Sushi. Und drittens: Man sollte die Namen der Weinlagen mit Respekt und nicht mit Spott bedenken, ob es nun um das Meimsheimer Katzenöhrle geht oder um den Stettener Pulvermächer, um den Heuholzer Dachsteiger, den Mundelsheimer Rozenberg oder um das Cannstatter Zuckerle, das seinem Namen zum Trotz oft herb daherkommt. Andernfalls wird aus dem Gast rasch ein »rechter Bachel«. Das ist jemand, der dem Weingott Bacchus
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