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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
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der Engländer zum Feiern zeigt sich auch bei ihren Dorffesten. Egal, wie schlimm die wirtschaftliche Lage ist: Im Sommer wird gefeiert. Je ausgelassener, desto besser.
    Kaum ein Dorf, in dem nicht ein Entenrennen Teil der sommerlichen Dorffeier ist, vorausgesetzt natürlich, in dem Ort gibt es ein fließendes Gewässer. Hoch her geht es zum Beispiel in Luxborough und Exford, beide im Exmoor gelegen.
    Zum Einsatz kommen Hunderte von gelben, roten und blauen Quitscheentchen, die sonst bei Babys in der Badewanne dümpeln und sich nur in den seltensten Fällen der Heraus- forderung von Stromschnellen stellen müssen. Jedes Entchen bekommt eine Nummer. Jeder Teilnehmer des Entenrennens kann sich diverse Nummern kaufen oder, je nach Spielregel, auf Platz oder Sieg setzen, wie bei einem Pferderennen. Die Enten werden stromaufwärts ins Wasser geworfen und schwimmen, von ihren Besitzern durch lautstarkes Rufen angetrieben, dem Ziel entgegen. Dem Gewinner winkt als erster Preis eine Flasche Whisky oder ein Essen im Pub.
    In Watchet werden im Hafenbecken Schlammschlachten ausgetragen – natürlich bei Ebbe. Beim Tug o’ war stehen sich zwei Mannschaften zunächst knöcheltief im Hafenmatsch gegenüber, nur durch ein Seil verbunden. Proportional zum beidseitigen kräftigen Ziehen steigt die Verschlammung der Teilnehmer, bis am Ende nur noch die engsten Familienmitglieder ihre Verwandten unter der Schlammschicht erkennen, die, ganz egal wie das Wetter ist, mit kaltem Wasser aus dem Löschschlauch der Feuerwehr abgespritzt wird.
    Ähnlich ist das Schicksal derjenigen, die sich als Zielscheibe beim Tortewerfen zur Verfügung stellen. Da geht es bei der obligatorischen »Hundeschau« friedlicher zu. Prämiert wird hier nicht der nach Züchterregeln überzeugendste Rassehund, sondern schlicht und ergreifend der Schönste, auch wenn es ein Mischling ist, bei dem man die diversen Zutaten nicht mehr so ganz identifizieren kann. Dann gibt es noch einen Preis für den außergewöhnlichen Hund, der ein am anderen Ende des Parcours positioniertes Würstchen nicht auffrißt, sondern Herrchen oder Frauchen bringt. Und damit diejenigen, die weder schön noch schnell sind, auch eine Chance auf einen Preis haben, wird auch noch der beste tail wagger prämiert, also der Hund, der am schnellsten und freundlichsten mit der Rute wedeln kann. An einem Stand wird selbstgemachte Marmelade verkauft, am anderen Ende des Dorfplatzes bietet der örtliche Restaurantbesitzer Rundfahrten auf seiner Harley an. Unermüdlich dreht er seine Runden. Alles natürlich für einen guten Zweck.
     
     
     
     
    Bevor der falsche Eindruck entsteht, das Leben der Südengländer sei eine einzige Party, schwenken wir den Blick auf den Alltag, der vor allem im ländlichen Raum häufig von einem Mangel an Arbeitsplätzen geprägt ist. Nur rund 80 Prozent der Bevölkerung des Südwestens hatten im Sommer 2001 einen Job, im Südosten waren es immerhin fast 84 Prozent.
    Die Landwirtschaft, die vor allem den Südwesten dominiert, hat schon seit Jahren einen harten Stand. Die Höfe sind zu klein, um ohne EU-Subventionen auf dem internationalen Markt eine Chance zu haben. BSE, umgangssprachlich Mad Cow Disease genannt, teilte den ersten Schlag aus. Doch dann kam mit der Maul- und Klauenseuche der Supergau. Selbst nicht infizierte Herden von Rindern und Schafen mußten vernichtet werden, viele Farmer standen vor dem Aus. Auch psychisch war das Keulen nur schwer zu verkraften. Mir wurde von einem Farmer erzählt, der morgens um sieben Uhr unter Tränen seinen besten Freund anrief. Wie immer hatte er sich am frühen Morgen auf den Weg gemacht, um seine Tiere zu füttern, als ihm auf halber Strecke eingefallen war, daß die Herde dem Schlagbolzen zum Opfer gefallen war und nicht ein Tier mehr lebte. Manch ein Farmer wußte keinen anderen Ausweg, als Selbstmord zu begehen. Selbst diejenigen, die nicht direkt betroffen waren, litten unter den Absperrungen ganzer Regionen. Die Touristen blieben aus, die sonst ihre Ferien auf dem Bauernhof verbrachten oder auf Wanderungen im Tea Room Erfrischung suchten.
    Wer da nicht untergehen will, muß sich etwas ausdenken, und so kommt es, daß sich viele Farmer inzwischen auf Abwege begeben haben, die ihnen das Überleben sichern und die eigene Farm erhalten sollen. Wie schwierig das ist, demonstriert eine Feststellung des Journalisten Godfrey Smith fest: Einem Mann, der in England möglichst schnell sein Geld loswerden will, stehen drei

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