Gebrochen
ziemlich verblüfft über meinen Ausbruch, andernfalls hätte sie nicht geschwiegen. Ich nutzte das und sagte ein wenig ruhiger: „Und jetzt lass meine Sache, meine Sache sein. Wenn du mit irgendwem auch nur ein Wort darüber wechselst, ich schwöre dir, ich red kein Wort mehr mit dir.“
„Aber…“
„Ich mein das todernst Mum. Lass mich und ihn damit in Ruhe. Wir wissen schon was wir tun“, sagte ich aufgebracht.
„Bist du sicher?“, fragte sie zweifelnd.
„Du kränkst mich, wenn du mir das nicht zutraust“, spielte ich einen Trumpf aus. So lästig sie sein konnte, was sie niemals wollte, war irgendwen zu kränken. Am wenigsten meinen Vater oder mich.
„Na schön“, gab sie endlich nach.
„Danke“, seufzte ich erleichtert und legte auf. Ich blickte zu Leon, dem noch immer die Tränen übers Gesicht liefen. Ich wagte mich zu ihm aufs Sofa und legte meine Hand auf seine Schulter.
„Beruhige dich wieder“, forderte ich ihn sanft auf. Er nickte nur, ohne weiter zu reagieren. Da läutete erneut das Telefon. Es war wieder meine Mutter, wie ich an der Nummer erkannte. Ohne die Hand von seiner Schulter zu nehmen, ging ich ran.
„Was?“, blaffte ich sie an.
„Ich bin´s“, meldete sich mein Vater.
„Oh, sorry“, meinte ich betreten.
„Schon gut. Ich wollte dir nur sagen, dass sie beleidigt ist“, teilte er mir mit.
„Gut. Danke“, sagte ich erleichtert und legte auf. Wenn meine Mutter beleidigt war, dann verzichtete sie aus Trotz darauf, irgendetwas zu unternehmen. Das war es auch, was mir mein Vater damit hatte sagen wollen. Ich wusste, dass er mein „gut“ so verstanden hatte, wie ich es gemeint hatte.
„Sind deine Eltern böse auf mich?“, wollte Leon wissen.
„Nein, natürlich nicht. Meine Mutter ist wegen mir eingeschnappt. Aber sie kriegt sich wieder ein. Wenn sie sich beruhigt hat, wird sie einsehen, dass ich recht hatte“, erklärte ich ihm. Er nickte, dann schwieg er wieder eine Weile.
„Danke“, sagte er, deutete auf das Pendel und blickte mich dann an. Es war kein kurzer Blick, wie gewöhnlich und ich verlor mich in seinen Augen. Auch wenn ich wusste, dass ich es lassen sollte, konnte ich mich im Moment nicht dagegen wehren. Noch dazu verzog er seine Lippen zu einem Lächeln. Es war noch kein richtiges, aber schon so viel mehr, als ich bisher zu sehen bekommen hatte.
„Für alles“, setzte er noch hinzu. Ich konnte nur nicken und riss mich endlich von seinem Anblick los. Er drehte den Kopf wieder weg.
Kapitel 3
Die Wochen vergingen und es wurde besser. Die Wochen wurden zu Monaten und Leon es ging weiter bergauf. Wenn er mit mir alleine war, war er komplett entspannt. Er hatte den Blick nicht mehr ständig gesenkt, blickte mich an, wenn wir miteinander redeten. Zu Hannes hatte er ebenfalls Vertrauen gefasst, genau wie zu seiner Freundin. Mit ihnen war er nicht ganz so locker, doch er beteiligte sich an den Unterhaltungen und lachte sogar hin und wieder. Seine Zusammenbrüche hatten so gut wie aufgehört. Es kam nur noch ganz selten vor, dass er wegen einem Alptraum aufwachte. In der Öffentlichkeit machte er nur noch den Eindruck, als wäre er einfach schüchtern, nicht panisch. Er hatte auch keinerlei Probleme mehr, wenn er alleine irgendetwas erledigen wollte.
Mit seinem Job hatte er auch Fortschritte gemacht. Heinz hatte ihm eine Fixanstellung angeboten, die er gerne angenommen hatte. Er arbeitete weiterhin zu Hause, was ihm trotz allem lieber war.
Natürlich hielt ich mich weiterhin zurück. Ich wollte ihm noch immer nicht das Gefühl geben, dass ich etwas von ihm verlangte. Es fiel mir schwerer, je sicherer er wurde. Immer wieder musste ich mich selbst daran erinnern, dass er noch immer mit seinen inneren Dämonen kämpfte. Denn dass er seinen Alltag auf die Reihe bekam, hieß natürlich nicht, dass er irgendetwas vergessen hatte.
Immer wieder musste ich mich selbst daran erinnern, dass er, selbst wenn er all seine Erlebnisse bereits verarbeitet hätte, er noch lange nicht schwul sein musste.
Immer wieder musste ich mich selbst daran erinnern, dass selbst wenn er schwul sein sollte, er noch immer meine Gefühle nicht erwidern musste.
Meine Mutter hatte tatsächlich Ruhe gegeben. Ich sah meine Eltern ohnehin nicht so oft. Alle vierzehn Tage oder drei Wochen einmal. Doch wegen Leon hatte ich noch seltener das Bedürfnis, sie zu besuchen. Für mich gehörte er nun mal zu mir und alleine hinzufahren, schien mir irgendwie nicht richtig. Außerdem wollte
Weitere Kostenlose Bücher