Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Polizeipräsident. Okay?«, sagte er gedehnt. Nein, das war gar nicht okay. Deswegen fragte ich mit honigsüßem Lächeln: »Ist Zynismus eigentlich Bestandteil der Kommissarausbildung?«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Also gut«, sagte er. »Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe mit der Mutter geredet. Sie hat mir alles erzählt. Laura hat die Trennung von einem Jungen nicht überwunden. Sie war am Boden zerstört, hat einen Abschiedsbrief geschrieben und sich umgebracht.«
»Was stand denn in dem Abschiedsbrief?«
»Das übliche Blabla. Dass sie alles nicht verkraftet und dass sie sich verabschiedet und so weiter und so weiter.«
»Steht der genaue Wortlaut da in Ihrer Akte?«
Er legte die Hände auf die Mappe und sagte biestig: »Nein, steht er nicht. Wir haben ihn nicht, denn die Eltern haben ihn vor lauter Kummer zerrissen und weggeschmissen, okay?« Er wurde immer lauter.
»Aber wer schmeißt denn bitte schön einen Abschiedsbrief weg?«, fragte ich ungerührt. Für einen kurzen Moment dachte ich, er würde über die Tischplatte hechten und mir an die Gurgel springen. Aber er riss sich zusammen und an dem Mahlen seiner Kiefermuskulatur konnte ich sehen, wie schwer ihm das fiel. »Kann ich jetzt hier weiterarbeiten?«, fragte er garstig.
»Ja, sicher. Aber sagen Sie mir noch bitte: Wie hieß der Junge denn, wegen dem sie sich umgebracht hat?«
Das Telefon klingelte.
»Das wusste die Mutter nicht«, sagte der Kommissar und hob ab, hörte zu und sagte: »In Ordnung.« Er legte wieder auf.
»Die Mutter kennt den Namen des Jungen nicht, wegen dem sich ihre Tochter umbringt?«, platzte es aus mir heraus. »Welcher Schwachkopf glaubt denn so was?«
»Ich«, sagte der Kommissar kalt und musterte mich mit seinen Schweinsaugen. Ups. Hinter ihm sah ich einen Bilderrahmen mit Foto von ihm und zwei krampfhaft lächelnden Teenagerinnen mit Zahnspangen. Wahrscheinlich erzählten ihm seine Töchter auch nicht, was sie so alles taten. Konnte ich ja gar nicht verstehen, wo ihr Vater doch so ein netter, verständnisvoller Kerl war.
»Aber Sie finden den Namen noch raus, oder nicht?«, fragte ich. »Ich meine, das ist doch Ihr Job, oder?«
Er verdrehte die Augen. »Aha. Jetzt wollen Sie mir also auch noch sagen, was mein Job ist. Ich sage Ihnen, was mein Job ist.« Söderberg zeigte theatralisch auf eine vollgekritzelte Pinnwand mit Fotos und Namen von Opfern und vielen Fragezeichen. »Das ist mein Job. Da läuft einer rum und murkst Rentner ab. Und zwar einen nach dem anderen. Ich kann mich hier nicht mit Kinkerlitzchen aufhalten.«
Die Tür hinter dem Kommissar wurde abrupt aufgerissen. »Söderberg, schnell«, rief ein bulliger Typ atemlos. »Die Kröte ist vor ihrem Haus aufgetaucht.«
Den Kommissar durchzuckte es. Er stand auf. »Gucken Sie sich die Internetseite von dem Mädchen an, wenn Sie mir nicht glauben. Alles voller rührseliger Gedichte und so ’nem Zeug. Sie hat sich aus Liebeskummer ertränkt, der Klassiker. Fall abgeschlossen. Und jetzt gehen Sie, ich habe zu arbeiten.« Er nahm seine Dienstwaffe aus dem Schreibtisch. Ich nahm meine Tasche. Er stand auf und steckte die Pistole in ein Schulterhalfter unter seiner speckigen Jacke. Ich stand auf und hängte mir die Tasche um. »Wiedersehen«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
Er antwortete nicht, sondern eilte durch die Tür in den Nachbarraum und schrie hektisch irgendein Kommando, das ich nicht verstehen konnte, weil mein Herz so bummerte. Auf seinem Schreibtisch lag die Akte. Vielleicht hatte er mich mit dem Abschiedsbrief ja angelogen, dachte ich. Ich drehte mich um und ging drei Schritte zurück zum Schreibtisch. Niemand kam. Ich beugte mich vor. Mein Herz war kurz vorm Ausrasten. Nur einen kurzen Blick, dachte ich und klappte die Akte auf. Schon wurde ich für meine Dreistigkeit bestraft. Obenauf lag ein Foto! Der Unterschied zwischen einer Fake-Leiche und einer echten Toten war frappierend. Noch viel schrecklicher, viel bleicher und eindeutig viel toter. Ich musste schlucken. Ich blätterte schnell weiter, da waren noch mehr Fotos. Eines zeigte eine Tätowierung der Toten, ein chinesisches Schriftzeichen auf der Hüfte. Weiter hinten waren dann nur noch die Aussage der Eltern und der pathologische Bericht. Ich hörte Schritte und klappte die Mappe zu.
»Was machen Sie denn da?«, fragte Söderberg. »Haben Sie etwa in der Akte rumgeschnüffelt?«
»Habe nur einen Blick reingeworfen«, beteuerte ich. »Ich dachte, ich
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