Gefährliche Liebe unter dem Hakenkreuz (Junge Liebe) (German Edition)
keine Gedanken wegen Samuel.“ Sie wusste, was er sagen wollte. „Ich halte meinen großen Bruder schon davon ab, die Scheune zu stürmen. Ich bin mein Leben lang mit diesem Brummbär fertig geworden. Da werde ich es heute Nacht bestimmt nicht einreißen lassen, dass er gewinnt.“ Die Belustigung in ihrer Stimme war deutlich zu hören. „Du bist eine tolle Frau.“ Er beugte sich zu ihr hinüber und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Wange. „Ist schon gut.“ Sie rutschte etwas von ihm weg, um das alte Gefühl, von dem sie gedacht hatte, es wäre vergraben, erst gar nicht mehr zu Wort kommen zu lassen. „Danke, Silke, für alles.“ Er erhob sich und ging zur Scheune. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren. Er musste einen Moment warten, bis sich seine Augen an die komplette Dunkelheit in dem Gebäude gewöhnt hatten. Das Licht der Sterne war hier drin ohne Wirkung. Dann sah er Richard. Er hatte sich an der gegenüberliegenden Wand auf den Boden gesetzt. Der Koffer lag neben ihm, und er blätterte in einem Buch. „Du siehst doch überhaupt nichts.“ Er rutschte an der Wand entlang nach unten und streckte die Beine aus. „Das stimmt, aber es beruhigt mich, wenn ich darin blättern kann. Ich habe es schon einige Male gelesen und kenne den Inhalt. Selbst hier in der Dunkelheit habe ich das Gefühl, die Worte sehen zu können.“ Schweigend saßen sie eine Zeit nebeneinander. Das einzige Geräusch kam von den Seiten, die umgeblättert wurden. „Ich will hier nicht weg!“ Richards Worte zerrissen die Stille und ließen Heinrich zusammenfahren. Ohne sein Zutun hatte ihn das leise Umblättern der Seiten in einen sanften Schlummer versetzt. Für einen Augenblick sogar vergessen lassen, wo er war. Jetzt kam die Realität wie ein Hammerschlag zurück. „Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei, dass ich meine Mutter alleine lasse. Ich will meinen Bruder nicht hier lassen. Was wird aus Bärbel und ihrer Familie? Was wird aus meinen Freunden? Was wird aus unserem Haus, wenn wir alle weg sind?“ Mit jedem Wort, das Richard in die Dunkelheit ausstieß, wurde seine Sprache schneller. Die Worte schienen sich fast zu überschlagen. Hastig zog Heinrich ihn zu sich und verschloss den Mund seines Freundes mit einem Kuss. Dieser zitterte am ganzen Leib. Ohne den Kuss zu unterbrechen, ließ er sich seitlich in Richtung Boden gleiten und zog ihn mit sich. Er verzog das Gesicht, als sein Körper auf dem alten Stroh lag. Der Geruch, der davon ausging, war alles andere als einladend. Er schob den Gedanken, dass er mehr von der Nacht mitnehmen würde als die Leere in seinem Inneren, wenn Richard weg war, von sich. Seine Arme schlossen sich um ihn und er drückte ihn fest an sich. Richard vergrub seinen Kopf an seinem Hals und er spürte die heißen Tränen, die daran hinunterliefen, und das Zittern, das durch den Körper ging. Fieberhaft überlegte Heinrich, wie er ihn beruhigen könnte. „Was steht in dem Buch, das du gerade gelesen hast?“ Etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. „Was?“ Richard zog hörbar die Nase hoch. „Erzähl mir, um was es darin geht.“ „Es ist das Buch, das du mir geschenkt hast.“ In der Dunkelheit strich Richard mit den Fingern über das Buch, das jetzt auf Heinrichs Brust lag. Er ertastete die Unebenheiten des geprägten Ledereinbandes. Wie ein Blinder, der sich an der Blindenschrift entlang tastet, fuhr er über die einzelnen Buchstaben des Titels und versuchte sie zu erkennen. „Es geht um eine besondere Staatsform. Es gibt kein Privateigentum und jegliche Glaubensrichtung wird toleriert. Die Menschen leben in Gemeinschaften von ca. 30 Personen zusammen, geführt von einem für ein Jahr gewählten Oberhaupt. Innerhalb dieser Gemeinschaften gibt es ganz normale Ehen. Jeder muss arbeiten. Also nur die Erwachsenen natürlich. Für die Kinder besteht Schulpflicht. Besonders Begabte werden gefördert. Entweder im wissenschaftlichen oder künstlerischen Bereich. Es gibt sogar eine Art Krankenversicherung.“ Mit jedem Wort wurde Richards Atem ruhiger und sein Herzschlag normalisierte sich. „Wann hat dieser Thomas More das denn geschrieben? Es klingt sehr modern.“ „1516.“ „Der war seiner Zeit aber ganz schön voraus.“ „Stimmt.“ Heinrich spürte, wie sich Richards Brustkorb stärker ausdehnte und anschließend wieder zurückbildete. Er vermutete, dass dieser versuchte, das Gähnen zu unterdrücken. Wahrscheinlich hatte er die letzte Nacht so gut wie
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