Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
schnell, wie meine Finger mir gehorchen.
»Bitte sagen Sie mir, was Sie da tun.«
»Es ist, als könne er meine Gedanken lesen. Glauben Sie, er wusste, dass ich zu diesem Schluss komme? Ist es nur ein Zufall, dass ich mir die Kopien habe faxen lassen? Dass ich all das herausgefunden habe, so wie er es getan hat?«
»Zu welchem Schluss?«
»Ich glaube, Benicio ist auch in die Sache verwickelt. Er hat nie gehört, dass sie die Schweiz erwähnt haben. Es war eine Falle.«
»Moment mal! Wovon reden Sie?«
Ich bleibe mitten im Raum stehen und hole einmal tief Luft. »Die Schweiz. Ich brauche den nächsten Flug dorthin. Wo ist der nächste internationale Flughafen außer Puerto Vallarta? Ich möchte nicht gesehen werden.«
»Guadalajara. Sind Sie sicher, dass Sie wissen, was Sie tun?« »Nein. Das kann ich erst sein, wenn ich dort bin.«
31
Ich zögere kurz, als ich nach dem Grund meines Aufenthalts gefragt werde. »Finanzdinge«, sage ich.
»Finanzdinge?« Die Zollbeamtin in ihrer frischen blauen Uniform mustert meinen Reisepass einen Moment länger. »Sie sind hier, um Bankgeschäfte zu erledigen«, sagt sie, halb fragend, halb korrigierend. Sie tippt etwas in ihre Tastatur.
»Ja. Bankgeschäfte.« Der Ausdruck gefällt mir. »Es geht um ein paar Bankgeschäfte.«
»Und warum haben Sie keinen Rückflug gebucht?«
Die Antwort auf diese Frage habe ich mit Willow auf dem Weg zum Flughafen eingeübt. »Ich muss mich hinterher noch um mehrere andere Geschäfte kümmern. Beim Abflug war ich mir noch nicht sicher, wohin ich als Erstes in den Vereinigten Staaten fliegen muss.«
»In welcher Branche arbeiten Sie?«
»In der Buchbranche.«
»Sie verkaufen Bücher?«
»Nein, nicht verkaufen. Ich redigiere sie. Ich sorge dafür, dass sie in korrektem Englisch geschrieben sind.«
»Und Sie wissen noch nicht, in welchen Teil Ihres Landes Sie fliegen müssen, um die Bücher zu korrigieren?«
»Nein … ich … es ist so …« Lieber Gott. »Manchmal habe ich Meetings in New York und mein Sohn ist zur Zeit nicht in der Stadt, deswegen ist es möglich, dass ich ihn zuerst abholen muss …« Und so plappere ich gefühlt mehrere Minuten weiter, bis ich endlich den Mund halte und mir ein Lächeln ins Gesicht zwinge.
»Was haben Sie in Mexiko gemacht?«
»Urlaub.« Ich lächle immer noch.
»Einen Moment bitte.«
Sie verlässt ihren Schalter und geht zu einer Reihe kleiner Kabinen an der Wand. Bei den meisten sind die Jalousien vor den Fenstern heruntergelassen. Sie betritt einen der kleinen Räume und schließt die Tür hinter sich. Die Leute in der Schlange hinter mir stöhnen. Meine Nerven brennen unter meiner Haut wie winzige Wunderkerzen. Ich muss mich beherrschen, damit ich nicht mit dem Fuß auf den Boden tippe oder mit den Fingernägeln auf den Tresen. Ich stecke meine Hände in die Taschen von Willows kurzem Mantel, damit ich nicht spüre, wie sie zittern.
Die Tür der Kabine wird wieder geöffnet und ohne mir in die Augen zu sehen, kehrt die Zollbeamtin zurück an ihren Platz. Sie tippt etwas in den Computer, gibt mir schnell meinen Reisepass und winkt mich ohne ein weiteres Wort weiter.
Ich bin in der Schweiz.
Bitte seien Sie vorsichtig
, hatte Willow mir zugeflüstert, während sie mich zum Abschied in Guadalajara umarmte. Ihre Worte klingen noch in meinen Ohren nach. Ich trage ihre Sachen undnehme ihren Geruch wahr, während ich durch die Zollkontrolle gehe. In ihrem kurzen Mantel, dem blauen Pullover, den weichen Lederschuhen – ich habe darauf bestanden, ihr alles abzukaufen – habe ich nicht ganz so viel Angst. In dem Rucksack über meiner Schulter sind noch mehr warme Sachen von ihr. Ich musste versprechen, ihr alles persönlich zurückzubringen, bevor das Wetter in Victoria in British Columbia, wo Willow herstammt und im Herbst zwei Wochen verbringen möchte, wieder kühler wird.
Ich habe es ihr zugesagt.
Aber als ich in einem Land, das so weit entfernt und so vollkommen anders als Mexiko ist, in die Bahn steige, fühlen sich diese Worte an, als wären sie vor Jahren von irgendjemand anders gesagt worden.
Die Türen des Zugs schließen sich und brennende Panik breitet sich in meiner Brust aus. Ich setze mich und atme tief durch. Es riecht alles so neu, nach Zigaretten und nach Kälte. Stimmengewirr umgibt mich. Schweizerdeutsch. Endlich eine Sprache, die ich einigermaßen verstehe. Man unterhält sich gern über das Wetter und darüber, wer gerade mit wem von wo aus dem Urlaub gekommen ist.
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